Jesus, sorge Du!

Wenn man 27 Jahre alt ist und voller Kraft und Energie steckt, dann erwartet man ganz bestimmt nicht zu hören: „In Ihrem Körper entwickelt sich Krebs. Es handelt sich um eine akute Leukämie. Ihre Überlebenschancen stehen 50 zu 50.“ Solch eine Diagnose erhielt ich am 5. November 2020. 

Es war Ende September und ich arbeitete mehr als gewöhnlich. Ich plante mir eine Eigentumswohnung zu kaufen, und so dachte ich, dass es nicht schlecht wäre, als Eigenkapital und für die Renovierung etwas Geld zurückzulegen. Ich beendete eine Arbeit und begann mit der Nächsten. Samstage und Sonntage waren auch oft Arbeitstage. An einem freien Wochenende dann – klar, abreagieren. Bier … fünf oder sechs Flaschen. Etwas Stärkeres wurde auch getankt, so wie es in dem Lied heißt: „Es wurde viel getrunken und wenig geschlafen“. Es gab auch viele Partys. Ich bin ein Mensch, der gerne in Gesellschaft ist und jemand, der es nicht lange an einer Stelle aushält, ohne etwas zu tun. Anfang Oktober war ich auf einer Party, nach der mein Körper zu streiken begann.

Es fing mit einer Erkältung und Fieber an. Dann hat sich herausgestellt, dass ich den Coronavirus hatte, also wurde ich zu einer mehrtägigen Quarantäne bei meinen Eltern zu Hause gezwungen. Covid habe ich eigentlich ziemlich gut überstanden, doch das Eingeschlossen sein in vier Wänden nervte mich sehr. Ich konnte nicht an einer Stelle sitzen bleiben, war irritiert und zählte die Tage, bis ich mich von meinen Eltern befreien und das Haus verlassen konnte. Schließlich war es so weit. Ich fühlte mich einigermaßen wohl und so kehrte ich zur Arbeit und zu meinen Beschäftigungen zurück. Doch mit jedem weiteren Tag, der nach der Quarantäne verstrich, fühlte ich mich immer erschöpfter. Es handelte sich um eine große Mattigkeit, welche ich nie zuvor erfahren hatte. Ich hatte Probleme, meine Wohnung im zweiten Stock zu erreichen. In der Arbeit sagte mir jeder: „Du siehst so blass aus wie ein Müllerssohn“. Ich hatte komische Symptome, die ich niemals zuvor an mir wahrgenommen hatte: einen erhöhten Puls, Schwindelanfälle, Augenflimmern. Ich war mir sicher, dass dies von Corona kommt. Ich hörte, dass Menschen nach dieser Erkrankung manchmal zwei oder drei Wochen brauchen, um wieder zu sich zu kommen, also verließ ich mich darauf, dass auch bei mir nach ein paar Tagen alles wieder im grünen Bereich sein wird. Ich kam auf den Gedanken, dass ich schon lange kein Bier oder anderen Alkohol getrunken hatte. Würde ich nun etwas zu mir nehmen, so käme mein Kreislauf wieder in Schwung und es würde mir auch allgemein besser gehen. Also machte ich es genau so. Ich ging zu einem Freund zu einem Fußballspiel; ich trank drei Bier und etwas Stärkeres und sah gleich besser aus. Ich war wieder in Form. Ich legte mich mit dem Gedanken schlafen, dass Alterprobtes doch das beste Mittel sei. Doch Pustekuchen. …

Am  nächsten Tag war es wie zuvor und mit jedem weiteren Tag wurde es schlimmer. Wenn ich dreihundert Meter gegangen war, schnaubte ich wie eine alte Dampfmaschine. Ich fühlte mich, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir. Auch die Blässe hielt an. Ein erhöhter Puls und andauernde grauenhafte Erschöpfung. Der zweite Gedanke, der mir damals in den Kopf kam, betraf die Lungen – nach Corona haben die Leute doch Probleme mit den Lungen. Ich wollte meine Lungen checken lassen. Doch die Arbeit, die Verpflichtungen, verschiedene Treffen – immer kam etwas dazwischen und ich sagte mir: „Morgen mache ich einen Termin.“ … Und so schob ich den Arztbesuch vor mich her und vertraute darauf, dass die Symptome von alleine abklingen würden.

In dieser Zeit rief mein Vater bei einem befreundeten Arzt an und vereinbarte einen Termin für mich. Ich dachte, wenn ich schon angemeldet bin, dann gehe ich auch hin. Der Arzt untersuchte mich und machte eine Röntgenaufnahme meiner Lungen. Alles war in Ordnung. Der Arzt wurde jedoch auf meine blasse Haut aufmerksam und gab mir eine Überweisung zur Blutuntersuchung, denn es könnte eine Anämie dahinterstecken. Es war der 3. November. Morgens ging ich zur Blutabnahme. Ein paar Stunden später erhielt ich einen Anruf vom Arzt. Man informierte mich, dass meine Ergebnisse stark von der Norm abweichen, um nicht zu sagen tragisch seien, und dass ich mich am nächsten Tag ins Krankenhaus in die Hämatologie zu weiteren Untersuchungen begeben sollte. Am 4. November wurde ich stationär aufgenommen. Es stellte sich heraus, dass mein Hämoglobinspiegel auf 4,5 Einheiten herabgesunken war. Der Normbereich eines erwachsenen Mannes liegt bei 13 bis 17 Einheiten. Der Bereich, den man als tödlich erachtet, lieg bei weniger als 3 Einheiten …Ich dachte mir: „Nicht schlecht, da bist du noch mal dem Tod von der Schippe gesprungen.“

An diesem Tag transfundierte man mir mehrere Blutkonserven. Ich spürte einen ungeheuren Anstieg an Energie und Kraft. Ich dachte mir, dass man sich so nach der Einnahme von Amphetaminen fühlt … und ich dachte auch: „Ein oder zwei Tage werden sie mich untersuchen, dann komme ich hier raus.“ Am zweiten Tag, den 5. November, führten sie bei mir eine Knochenmarkbiopsie durch. Gegen 10 Uhr kam eine Ärztin und schloss diskret die Tür hinter sich zu. Nach ihren Bewegungen und nach der Art, wie sie die Tür schloss (um mir diskret die schwierige Nachricht mitzuteilen), folgerte ich, in welcher Lage ich mich befand. Ihre Worte bestätigten es: „In Ihrem Körper entwickelt sich Krebs. Es handelt sich um eine akute Leukämie. Ihre Überlebenschancen stehen 50 zu 50.“

Manchmal, wenn ich einen Film anschaute oder Geschichten anderer Menschen hörte, überlegte ich, wie das wohl ist, solch einen Satz zu hören, wie ich reagieren würde, wie ich mit dem Gedanken leben würde, dass ich in einem Jahr oder einem halben Jahr nicht mehr da sein würde. Aber meistens blieb es bei einem kurzen Gedankenspiel. Ich hätte niemals erwartet, dass ich mich damit in Wirklichkeit würde konfrontieren müssen … Und nun kam es ohne Vorwarnung…. Bumm!

Der erste Tag war schwer, obwohl ich vor der Ärztin den Helden spielte (die Ärztin war ziemlich jung, attraktiv und es passte nicht, sich gehen zu lassen). Doch sobald ich allein im Zimmer war, schwirrten tausend Gedanken durch meinen Kopf. Es waren vor allem existenzielle Gedanken: „Wie lange werde ich noch leben? Werde ich dieses Krankenhaus überhaupt noch auf eigenen Füßen verlassen oder wird man mich hinaustragen? Werde ich noch meine Familie, meine Freundin, meine Bekannten sehen?“ Dann kamen mehr alltägliche Gedanken: „Wie wird die Behandlung aussehen? Wie werde ich mit Glatze aussehen? Wie ist das überhaupt nach der Chemotherapie? Menschen sehen doch sehr schlecht danach aus und fühlen sich auch übel. Wie wird es bei mir sein?“ … Danach kamen hoffnungsvollere Gedanken: „Vielleicht werde ich es überstehen, vielleicht wird es nicht so übel sein, vielleicht wirkt Gott ein Wunder, denn man hört doch manchmal, dass ein unheilbar Kranker plötzlich gesund wurde?“…

Die Behandlung begann am nächsten Tag – Tabletten drei Mal täglich, der Tropf, ein paar Mal täglich, Spritzen, Punktionen, Biopsien … Mein erster Aufenthalt im Krankenhaus dauerte fünf Wochen. In dieser Zeit verlor ich 16 Kilo, dabei bin ich nie übergewichtig gewesen. Man konnte alle meine Knochen zählen. Das war eine Folge der Krankheit, der eingenommenen Medikamente und der Chemotherapie. Anfang Dezember kehrte ich für zwei Wochen nach Hause zurück. Dann folgte ein weiterer Krankenhausaufenthalt, dieses Mal waren es vier Wochen. In der Zwischenzeit hatte ich Geburtstag, es wurde Weihnachten und Silvester. Ich musste lernen, all diese Feiertage auf eine neue, ungewohnte Art zu begehen – im Krankenhausbett, angeschlossen an die Apparatur, die die Chemie dosierte. Es folgten weitere zwei Wochen zu Hause und ein siebenwöchiger Krankenhausaufenthalt. 50 Tage in einem Bett und in ein und demselben Zimmer. Auf der Hämatologie darf man nicht auf den Korridor hinausgehen und nicht einmal ein Fenster öffnen. Während der starken Chemotherapie sind die Abwehrkräfte des Menschen sehr schwach, also muss man auf alle erdenklichen Bakterien und Viren achten. Manche sagen, dass es auf dieser Station schlimmer ist als im Gefängnis, denn dort kann man wenigstens im Hof spazieren gehen.

Diese intensive Behandlung dauerte von November bis April. Ein halbes Jahr. 180 Tage, von denen ich 130 im Krankenhaus und 50 zu Hause verbrachte. Es kam zur Remission, also zu einem Rückgang der Krankheit und jetzt bekomme ich eine unterstützende Behandlung. Diese kann noch anderthalb Jahre dauern, wenn die Werte weiterhin positiv bleiben. Verschlechtern sich die Werte, erwartet mich eine Knochenmarktransplantation.

Während der Behandlung ging es mir eigentlich recht gut, obwohl es Tage gab, an denen ich mich hundeelend fühlte. Ich hatte gar keine Kraft. Alles tut weh, man will sich übergeben, man hat keinen Appetit, man kann nicht schlafen. Also liegt man mit geschlossenen Augen da und wartet bis dieser Zustand vorübergeht. Neben mir liegen Patienten in verschiedenen Verfassungen. Manche können sich nicht einmal vom Bett erheben, andere weinen, wieder andere beten oder ganz im Gegenteil, sie verfluchen ihr Schicksal und fragen die ganze Zeit: „Warum ich? Warum hat mich das getroffen“ … Wenn die Untersuchungsergebnisse gut sind, gibt es einen Augenblick der Freude und Hoffnung, der Mensch fängt an zu glauben, dass er es schafft. Wenn hingegen etwas schiefläuft, tauchen Zweifel auf, ob die Behandlung Sinn macht und ob überhaupt alles einen Sinn hat.

Hier könnte man diese Geschichte beenden, aber dann wäre sie nicht sehr optimistisch. Vor allem aber – sie wäre unvollständig. Denn neben den irdischen Angelegenheiten, also den körperlichen Aspekten der Krankheit und der Behandlung, gibt es noch etwas, was mit dem verbunden ist, was der Mensch im Inneren durchlebt: Die geistige Sphäre, die – so denke ich – am wichtigsten ist.

Der Glaube und religiöse Praktiken waren schon immer ein wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Ich gehörte in meiner Pfarrgemeinde verschiedenen Gruppen an und engagierte mich dort. In den letzten Jahren begann mich Gott jedoch immer stärker „zu stören“. Ich konzentrierte mich auf mich selbst, auf meine Pläne, um aus dem Vollen zu schöpfen. Gott rückte auf den zweiten Platz. Ich ging zwar sonntags immer in die Kirche, doch das war eher aus Gewohnheit und weil ich mein Gewissen beruhigen wollte – ich war ja jede Woche in der Kirche, also reichte es aus. Und die Sonntage sahen meistens so aus, dass ich nach einer langen Party am Samstag mit einem Kater aufstand und am meisten das Ende der Messe herbeisehnte und nicht Jesus. Das Gebet beschränkte ich auch auf ein Minimum. Ich griff immer öfter zu Alkohol. Ich gab mich verschiedenen Versuchungen und schlechten Gewohnheiten hin. Dann wurde mein Gewissen – diese innere Stimme Gottes – übertönt. Die Grenze zwischen dem, was gut war, und dem, was schlecht war, begann zu verwischen.

Oberflächlich betrachtet, schien alles in Ordnung zu sein. Viele Dinge im Leben gelangen mir, sei es privat oder beruflich. Wenn ich etwas plante, dann erreichte ich auch meistens mein Ziel. Ich konnte mich über nichts beklagen. Doch im Inneren spürte ich versteckte Gewissensbisse, dass das Ganze nicht so sein sollte, dass etwas fehlte. Es fehlte das Gefühl der Sinnhaftigkeit und der Erfüllung. Es gab Abende, an denen ich mich an das Gebet erinnerte und Jesus bat, er möge mich aus diesem Schlamassel herausholen, damit ich meine Herzensfreude und den Frieden des Geistes wiedererlange.

Und Jesus forderte mich heraus, und zwar richtig krass. Es ist ja nicht so, dass Er im Himmel sitzt und das Los wirft, wen er heute mit einer Krankheit bestrafen will und wen nicht. Ich sehe das so, dass Er verschiedene Erfahrungen zulässt, damit wir dadurch zu ihm kommen. Manchmal haben wir die Tendenz, Ihn anzuklagen: „Warum hast Du nichts getan, um diese Krankheit aufzuhalten? Warum lässt Du all diese Unglücke zu? Warum erlaubst Du dieses Leid?“ … Wenn uns hingegen etwas gelingt, wenn wir Erfolg im Leben haben und uns gute Dinge zustoßen, wer sagt dann schon: „Ich danke Dir, Herr Jesus, dass es mir gelungen ist. Ich danke Dir, dass Du das alles so gut in meinem Leben zusammengefügt hast“? Oft klagen wir Gott für all das Böse an, was uns in unserem Leben widerfährt. Und wenn etwas Gutes geschieht, dann denken wir überhaupt nicht an Ihn … Aber das ist nicht so. Unser Leben besteht aus guten und aus schlechten Momenten und es kommt darauf an, das Ganze zusammen mit Jesus zu erleben. Der Wert der schlechteren Momente ist wirklich unbezahlbar, wenn wir die Leiden und Schwierigkeiten gemeinsam mit Jesus tragen. Als ich im Krankenhaus war, las ich die Aussage Jesu, die Alicja Lenczewska in ihrem Zeugnis niederschrieb: „Gottes Blick, der Blick der Wahrheit, ist anders als der menschliche Blick und anders, als die Welt sieht und beurteilt. Oft ist es ganz anders. Leiden, Verfolgungen, Ungerechtigkeiten, die Mir übergeben werden, haben einen ungeheuren Wert und bereichern die Seele. Sie sind die vollkommenste Nahrung für ihre Entwicklung. Das ist die Gabe, mit der der liebende Vater in besonderer Weise seine Auserwählten beschenkt, denn Er will sie heiligen und in seiner Nähe haben. (…) Das Leid ist weder eine Strafe noch etwas Schlechtes. Es ist ein Zeichen Meiner besonderen Liebe und der Berufung, Mir nahe zu sein“ (Zeugnis, S. 529). Nachdem ich diesen Abschnitt gelesen hatte, wusste ich, dass ich die mir geschenkte Zeit nicht vergeuden darf und die Chance nutzen muss, um Jesus näher zu kommen. Mir war bewusst, dass die Zeit der „Krankenhaus-Exerzitien“ sehr viele gute Früchte in meinem Leben sowie in dem Leben meiner Nächsten hervorbringen kann.

Am Abend des Tages, als ich die Diagnose bekam und sich die Emotionen schon gelegt hatten, kam mir plötzlich ein Zitat aus der Heiligen Schrift in den Sinn: „Dankt für alles“ (1 Thess 5,18). Ich konnte nicht verstehen, wie ich für so etwas danken sollte: für eine Krankheit, für Krebs, dafür, dass ich, wer weiß wie lange, im Krankenhaus bleiben sollte und dafür, dass ich überhaupt nicht wusste, wie es mit mir weitergehen sollte … Trotzdem hatte ich diesen Satz aus der Bibel: „Dankt für alles“ die ganze Zeit im Kopf. Ich fing also an zu beten und zu danken, obwohl es am ersten Tag nicht so richtig klappen wollte. In den nächsten Tagen hatte ich keine Panik mehr, ich fürchtete nicht mehr um das, was mit mir geschehen sollte. Viele negative Gedanken wurden unterdrückt durch eine vollkommene Ruhe und das Vertrauen, dass, was auch immer geschieht, Jesus weiß, was Er tut. Und jeden Abend dankte ich Ihm für die Krankheit, dafür, dass ich dank dieser Krankheit, angefangen habe, die lebendige Beziehung zu Gott aufs Neue zu knüpfen. Ich dankte auch für jeden Menschen, den ich im Krankenhaus traf, für die Fürsorge der Ärzte und Schwestern, für gutes Wohlbefinden, für alle Menschen, die für mich beteten, für meine Familie. Ich erinnerte mich auch daran, wie irritiert ich war, als ich während der Quarantäne im Oktober mit meinen Eltern eingeschlossen in der Wohnung sitzen musste. Als ich im Krankenhaus war, lernte ich diese Zeit zu schätzen und wiederholte oft: „Wie viel gäbe ich dafür, um wieder mit ihnen zu Mittag essen zu dürfen, sich hinzusetzen und sich ruhig zu unterhalten, Zeit gemeinsam zu verbringen“ … Wir haben wirklich viel. Wir haben für so vieles täglich zu danken, aber wir tun es nicht, weil wir uns nur auf uns selbst konzentrieren, auf das, was wir noch nicht haben, wie unglücklich wir sind und schauen dabei nicht über unseren Tellerrand. Wie viel Zeit vergeuden wir fürs Telefonieren, für das Anschauen unwichtiger Dinge im Internet, die keinen Beitrag für unser Leben leisten und die nur die Habsucht steigern und die Gier nach Geld, nach Ruhm, nach einem bequemen und leichten Leben, um jeden Preis. Auf einmal fing ich an, Dinge wertzuschätzen, die ich vorher nicht schätzte, und wonach ich nur die Hand auszustrecken brauchte. Als ich im Krankenhaus eine Übertragung der Heiligen Messe im Handy verfolgte, da sehnte ich mich nach Jesus, der in der Eucharistie gegenwärtig ist, ich vermisste den Geruch der alten, hölzernen Kirchenbänke, den Klang der Orgel und die Leute, mit denen ich gemeinsam beten konnte …

Ich bemühte mich jeden Tag, meine Krankheit, schwierige Momente und die damit verbundenen Leiden, Jesus durch die Hände Mariens aufzuopfern. Ich opferte sie für mich selbst, für meine Familie und für alle Menschen auf, die sich von Gott entfernt hatten. Bald bemerkte ich die guten Früchte dieser Aufopferung. Verschiedene Bekannte fingen an mich anzuschreiben, Menschen, die sich von Gott entfernt hatten. Sie schrieben, dass sie auch für mich beten, dass sie an mich denken, dass diese Krankheit bewirkt hat, dass sie nun über die wirklich wichtigen Dinge nachdenken. Wenn dich eine schwere Krankheit ganz real trifft oder jemandem aus deiner näheren Umgebung, wird dir bewusst, dass das Leben auf dieser Erde nur einen Augenblick dauert, denn ob jemand 30 Jahre oder 80 Jahre lebt, am Ende wird er sich doch auf die andere Seite begeben müssen.

Während eines Krankenhausaufenthaltes hat man sehr viel Zeit zum Nachdenken. Man kann diese Zeit auf zwei Arten nutzen: Man kann sich entweder aufregen, wütend sein, sich Sorgen machen über das, was noch kommt, fluchen und fragen, warum das einem zugestoßen ist, oder in Ruhe alles Jesus und Maria übergeben und Ihnen erlauben zu handeln. Das ist nicht leicht. Ich sage nicht, dass ich das alles an einem einzigen Tag begriffen habe und ein Held bin. In Wirklichkeit kämpfe ich jeden Tag. Es kommen Tage, da zweifle ich, es ist schwer, besonders wenn sich Untersuchungsergebnisse plötzlich verschlechtern, etwas nicht so läuft, wie ich es mir wünschen würde. Viele Dinge hätte ich gerne jetzt und sofort: vollkommen gesund zu sein, die Sicherheit zu haben, dass die Krankheit nicht wiederkehrt, damit ich wieder in die Berge fahren kann, laufen, spielen … Dabei ist der Körper schwach, denn er fühlt die Folgen der Behandlung und es ist noch ein weiter Weg, bis er voll funktionsfähig sein wird und selbst das ist noch nicht ganz sicher. Eben in solchen Momenten, wo Zweifel aufkommen, bewährt sich mein Vertrauen auf Gott. Ich sage Ihm dann: „Jesus, heute habe ich einen schlechten Tag, ich kann Dir nicht danken, eine Art von Wut und Zweifel kommt in mir hoch. Aber ich übergebe es Dir und bitte, sorge Du!“ Es gibt solch ein wunderschönes Gebet, das ein italienischer Geistlicher, der Diener Gottes Pater Dolindo, geschrieben hat. Ich habe es von einer Frau bekommen, die sehr für mich betet und oft nachfragt, wie die Behandlung verläuft und wie ich mich fühle. Das Gebet ist recht umfangreich, aber man kann es auf einen einzigen Satz verkürzen: „Jesus, sorge Du!“ Was auch immer in deinem Leben geschieht, etwas, wovon du nicht weißt, wie du damit umgehen sollst, oder wenn Du vor schwierigen Entscheidungen stehst, dann wiederhole: „Jesus, sorge Du!“ Ich begann dieses Gebet in meinem Leben zu praktizieren und habe so den Frieden des Herzens wiedergewonnen, der mir so fehlte. Es gibt natürlich auch schwierigere Augenblicke – die wird es immer geben – aber jetzt fühle ich, dass Jesus sich wirklich um meine Angelegenheiten kümmert, oft interveniert, obwohl nicht immer so, wie ich es geplant hatte.

Wie ihr seht, ist dies keine spektakuläre Geschichte; es kam (bis jetzt) zu keinem sensationellen Wunder, das man in Zeitungen beschreiben könnte. Manchmal las ich Geschichten über wunderbare Heilungen und ich verhandelte oft mit Jesus: „Vielleicht würde es ohne Chemotherapie gehen? Vielleicht könnte es schneller gehen? Könnte es vielleicht so sein, dass wenn ich mich morgen untersuchen lasse, die Ergebnisse sich auf wundersame Weise als gut erweisen und ich keine Behandlung mehr brauche, mich nicht mehr quälen muss?“ …

Jeder würde gerne in seinem Leben so ein greifbares Wunder erleben. Ein Wunder, das nicht widerlegt werden kann. Doch es ist eine Kunst zu vertrauen. Und davon handelt meine Geschichte. Über den Kreuzweg und den Weg des Vertrauens auf Gott. Ich weiß, dass, wenn es nötig und gut für mich sein sollte, sich ein Wunder ereignen wird. Doch mein Glaube und meine Beziehung zu Jesus sind nicht davon abhängig. Ich entdecke kleine Wunder, Dinge, die man auch als Zufälle bezeichnen könnte. Sie kommen täglich vor und wir können auf sie Einfluss nehmen, denn Gott wirkt durch Menschen. Er offenbart sich, indem Er sich unserer Hände, Beine und Lippen bedient.

Ich weiß nicht, was mich noch im Leben erwartet, doch ich weiß, dass, was auch immer das sein sollte, ich immer sagen kann: „Jesus, sorge Du!“ – und Er wird sich darum kümmern. Ehre sei dem Herrn!

Sebastian