Der verborgene Gott

Warum hat sich Gott nicht so offensichtlich offenbart, dass alle Menschen ohne jeden Zweifel sicher sein können, dass er existiert?

Wie bedeutsam sind die Worte des Propheten Jesaja: „Wahrhaftig, du bist ein verborgener Gott, / Israels Gott, der rettet.“ (Jes 45,15). Gott ist ein verborgener Gott, aber er offenbart seine Existenz und Allmacht in der Größe und Schönheit der gesamten Schöpfung. „Seit Erschaffung der Welt wird nämlich seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit.“, sagt Paulus (Röm 1, 20). Gott, der sich in Jesus Christus am vollkommensten geoffenbart hat, bleibt für uns weiterhin ein „verborgener Gott“. Die Göttlichkeit Christi war in seiner wahren Menschlichkeit verborgen. Wir können dem auferstandenen Jesus begegnen, mit ihm persönlich in Kontakt treten, aber es ist notwendig, an seine wirkliche Gegenwart in der Eucharistie, im Sakrament der Buße und in den anderen Sakramenten zu glauben.

Warum ist er ein verborgener Gott?

Gott, möchte, dass jeder Mensch eine persönliche Liebesbeziehung zu ihm eingeht, und deshalb darf der Kontakt des Menschen mit Gott nicht aus Notwendigkeit oder Zwang entstehen, sondern aus einer völlig freien Entscheidung. Er möchte, dass im Herzen eines jeden Menschen eine echte Liebe zu Ihm geboren wird. Liebe kann nur in völliger Freiheit geboren werden. Würde sich der Herrgott den Menschen in der ganzen Majestät seiner Gottheit, Liebe und Schönheit offenbaren, würde er uns versklaven. Deshalb ist er ein verborgener Gott geblieben, damit wir in völliger Freiheit durch den Glauben eine Liebesbeziehung zu ihm aufbauen können. Gottes „Verborgenheit“ und der Glaube an seine Existenz ist also eine notwendige Voraussetzung für die Freiheit des Menschen in seiner Beziehung zu Gott. Der Mensch ist frei, er kann die Existenz Gottes und seine Einladung zu einer Gemeinschaft der Liebe annehmen oder ablehnen. Jesus sagte zu Alicja Lenczewska: “ Der freie Wille des Menschen ist so absolut, dass der Mensch in seinem Herzen mit Mir machen kann, was er will. Und das tut er auch. So sehr habe ich mich jedem Menschen hingegeben“ (Świadectwo, dt. Zeugnis, 830).

Der Schöpfer des gesamten Universums offenbart zwar seine Existenz und selbstlose Liebe, bleibt aber ein verborgener Gott, um uns nicht mit der Allmacht seiner Liebe und Schönheit zu versklaven. Deshalb muss man an die Existenz Gottes glauben und ihm sein ganzes Leben anvertrauen. Die Entscheidung, sich für oder gegen Gott zu entscheiden, ist die wichtigste Entscheidung im Leben. Von ihr hängt unser Heil oder unsere Verdammnis ab. Jesus sagt: „Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verurteilt werden“ (Mk 16,16).

Huldigung an die menschliche Freiheit

Das Christentum ist einzigartig, die einzige Religion, die sich auf den Glauben an einen Gott gründet, der als echter Mensch geboren wurde – in Bethlehem, von der Jungfrau Maria, zum Tode durch Kreuzigung verurteilt und am dritten Tag in Jerusalem wieder auferstanden. Die Wahrheit über Gott, der die ganze Wahrheit über sich in Jesus Christus offenbart hat und ein verborgener Gott bleibt, gehört zu den wichtigsten Wahrheiten des Christentums.

Es muss noch einmal betont werden, dass Gott deshalb für uns „verborgen“ bleibt, „nicht offensichtlich“ für unsere sinnliche und rationale Wahrnehmung, – das heißt, er drängt sich uns nicht auf und zwingt uns nicht, seine Existenz zu akzeptieren – weil er die Freiheit, mit der uns beschenkt hat, bis zum Ende ehrt und respektiert.

Daher ist die Wahrheit, dass Gott sich zwar offenbart, aber dennoch ein verborgener Gott bleibt, der größte Beweis seiner Liebe und gleichzeitig eine Huldigung an die menschliche Freiheit.

Jesus sagte: „Ich verberge mich, um dich nicht mit der Herrlichkeit Meiner Gabe zu versklaven. Ich wünsche mir für dich ein Glück, das sich kein Mensch vorstellen oder erahnen kann… Mein Kind, wie sehr muss ich mich verbergen, damit ich deine Seele nicht mit dem Feuer meiner Liebe verbrenne und damit ich deinen Körper nicht mit der Kraft meiner väterlichen Zärtlichkeit töte. Und doch liebe Ich so sehr und wünsche, geliebt zu werden“ (Alicja Lenczewska: Słowo pouczenia, dt. Wort der Unterweisung, 430).

Die Wahrheit über den verborgenen Gott

Für uns und zu unserem Heil ist Gott in Christus wahrer Mensch geworden, hat die Sünden aller Menschen auf sich genommen, hat erfahren, was für ein schreckliches Leiden die Sünde ist, ist wahrhaftig gestorben und hat durch seine Auferstehung den Tod besiegt und alle Sünden vergeben. Auf diese Weise hat er allen Menschen die Möglichkeit gegeben, an seinem Sieg über Tod, Satan und Sünde teilzuhaben. Gott respektiert jedoch die Freiheit des Menschen bis zum Ende und rettet niemanden mit Gewalt. Deshalb bleibt er ein verborgener Gott. Wir können ihn annehmen oder ihn ablehnen. „Gott wollte sich verbergen“, schreibt Blaise Pascal. „Da Gott sich auf diese Weise verborgen hat, ist jede Religion, die nicht sagt, dass Gott verborgen ist, nicht wahr“. Zu dieser Wahrheit über Gott bekennen sich nur das Judentum und das Christentum.

Um den Gott, den Jesus offenbarte, wirklich zu erkennen, reicht es nicht aus, zu akzeptieren, dass er wirklich existiert und allmächtig ist. In anderen Religionen, wie dem Islam, wird Gott nur auf diese Weise bekannt. Jesus hingegen offenbart uns das Antlitz Gottes, dessen wichtigste Eigenschaften Liebe und Barmherzigkeit sind. Seine Allmacht kommt in der Erschaffung des Universums und in seiner demütigen Liebe zum Ausdruck, in der Haltung eines Dieners, der die Füße wäscht (vgl. Joh 13,8), der die Sünden aller Menschen auf sich nimmt, ihre schreckliche Last des Leidens erfährt und schließlich für jeden Sünder stirbt, um alle Sünden wegzunehmen und den Weg zum Himmel zu öffnen. Dies ist der Gott, der einer ist, aber in drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Man kann ihn nur auf dem Weg des Glaubens kennen lernen, „der durch die Liebe wirkt“ (Galater 5,6).

In der Menschwerdung Jesu können wir durch den Glauben seine wahre Gottheit erkennen. Jesus sagt: „und wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat“ (Joh 12,45); „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30); „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden; niemand kennt den Sohn, nur der Vater, und niemand kennt den Vater, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will“ (Mt 11,27). Jesus Christus ist der erste und einzige Mensch, der vom Tod zum Leben übergegangen ist. Damit hat er bezeugt, dass er ein wahrer Gott ist.

Das Christentum ist die einzige Religion, die nicht ein philosophisch – ethisches System, eine schöne Idee, sondern die lebendige Person Jesu Christi ist. Das Christentum erwächst aus der historischen Wahrheit über das Leben, den Tod und die Auferstehung Christi. In seinem Wesen ist das Christentum die lebendige Person des Auferstandenen, der in seiner Kirche alle Sünder zu sich nehmen will, um ihnen ihre Sünden zu vergeben und sie auf dem Weg des Glaubens zur Freude des ewigen Lebens im Himmel zu führen. „Jetzt [auf diesem Glaubensweg]“ – schreibt Paulus – „schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber [nach dem Tod] schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin“ (1 Kor 13,12).

Gott appelliert in seiner demütigen und verletzlichen Liebe an uns, niemals zu wanken oder entmutigt zu werden und unseren Glauben jeden Tag zu leben: „Fragt nach dem HERRN und seiner Macht, sucht sein Angesicht allezeit!“ (Ps 105,4); „Wohl denen, die seine Vorschriften befolgen, ihn suchen mit ganzem Herzen“ (Ps 119,2); „Liebt Gerechtigkeit, ihr Richter der Erde, denkt gut über den Herrn, sucht ihn mit ganzem Herzen! Denn er lässt sich finden von denen, die ihn nicht versuchen, und zeigt sich denen, die ihm nicht misstrauen. Verkehrte Gedanken trennen von Gott; wird seine Macht auf die Probe gestellt, dann überführt sie die Toren. In eine Seele, die Böses wirkt, kehrt die Weisheit nicht ein noch wohnt sie in einem Leib, der sich der Sünde hingibt“ (Weish 1,1-4).

Wir sollten jedoch bedenken, dass die Existenz Gottes, der sich zwar in Jesus Christus offenbart hat, aber dennoch ein verborgener Gott bleibt, „nicht nur durch den Eifer der Suchenden, sondern auch durch die Blindheit derer, die ihn nicht suchen“ (Blaise Pascal), bezeugt wird.