„Die ‚Schöne Dame’ von Laus”

Die Einzigartigkeit der Ereignisse in Laus liegt unter anderem in der langen Zeitspanne, über die sie stattfanden. Die „Schöne Dame“ – wie Benoîte sie zu nennen pflegte – erschien ihr über einen Zeitraum von 54 Jahren.

Im Laufe der Geschichte hat der Heilige Stuhl Dutzende von Marienerscheinungen in der ganzen Welt offiziell bestätigt. Zu den bekanntesten gehören die von Lourdes, Fatima, Guadalupe oder Kibeho (Ruanda) und Akita (Japan). Zu den von der Gottesmutter besonders auserwählten Orten gehört auch Laus [lies: Lo], ein kleines Dorf in den südfranzösischen Alpen, wo Maria Mitte des 17. Jahrhunderts erstmals einer einfachen Hirtin, Benoîte (dt. Benedikta) Rencurel, erschien. Benoîtes Geschichte, einschließlich der an sie gerichteten Worte der Muttergottes, ist dank der so genannten Lauser Manuskripte, den Aufzeichnungen von vier Autoren, die Benoîte persönlich kannten und sie täglich begleiteten, bis in unsere Zeit erhalten geblieben. Benoîte selbst konnte weder schreiben noch lesen.

Die Einzigartigkeit der Ereignisse in Laus liegt unter anderem in der langen Zeitspanne, über die sie stattfanden. Die „Schöne Dame“ – wie Benoîte sie zu nennen pflegte – erschien ihr über einen Zeiraum von 54 Jahren.

Die Visionen begannen zu einer Zeit, als König Ludwig XIV. in Frankreich regierte. In einem kleinen Dorf im südlichen Teil der Alpen, in der Nähe der Stadt Gap, wurde Benoîte Rencurel 1647 geboren. Trotz weit verbreiteter Armut und schwieriger Erfahrungen fand Benoîtes tiefgläubige Familie Ermutigung im Gebet. Benoîte besuchte nie eine Schule. Das einfache, lebensfrohe Mädchen kümmerte sich um die anderen Kinder und pflegte enge Beziehungen zu den Dorfbewohnern. Als sie sieben Jahre alt war, starb ihr Vater, und sie musste als Schafhüterin arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Zu der Zeit bat sie ihre Mutter um ihren ersten Rosenkranz. Und so verbrachte die kleine Hirtin in den folgenden 10 Jahren fast ihre gesamte Zeit auf den Berghängen.

Es gab einen besonderen Ort, an den das Mädchen seine kleine Schafherde gerne führte. Es war das Vallon des Fours (Tal der Öfen), das so genannt wurde, weil sich dort zahlreiche Steinöfen befanden, in denen die Bauern Gips brannten, um ihre Häuser zu bauen. Benoîte hatte oberhalb des Baches eine Grotte gefunden, die sie oft aufsuchte, um in Ruhe zu beten. Als sie an einem Maimorgen im Jahr 1664 zu der Grotte ging, sah sie plötzlich eine schöne Frau, die ein kleines Kind von außergewöhnlicher Schönheit an der Hand hielt. Erschrocken fragte Benoîte die Fremde, was sie in dieser Gegend mache und ob sie gekommen sei, um Gips zu kaufen. Dann bot sie ihr mit kindlicher Schlichtheit an, ihr Brot mit ihr zu teilen, wenn die „Schöne Dame“ Lust hätte, mit ihr zu essen. Die unbekannte Frau sagte nichts und lächelte nur. Sie blieb noch eine Weile in der Gesellschaft der Hirtin und verschwand dann mit dem Kind auf dem Arm in der Grotte. Den Aufzeichungen zufolge, hatte Benoîte fast vier Monate lang jeden Tag ähnliche Begegnungen. Die schöne Frau schwieg meistens. Es gab jedoch Tage, an denen sie zu Benoîte sprach, etwa wenn sie sie die Lauretanische Litanei an die Heilige Jungfrau lehrte. Bei anderen Gelegenheiten hütete sie anstelle der Hirtin die Schafe, damit Benoîte ins Dorf gehen und die Messe besuchen konnte.

Die schöne Frau war wie eine Mutter für Benoîte, und die täglichen Treffen wurden zu einer Quelle großer Freude für das Mädchen. Unter ihrem Einfluss veränderte sich die einfache Hirtin zusehends. Ihre innere Wandlung blieb den Dorfbewohnern nicht verborgen, die begannen, das Mädchen neugierig nach den Einzelheiten dieser ungewöhnlichen Begegnungen zu fragen. So verbreitete sich die Nachricht von Benoîtes Erlebnissen schnell in der ganzen Gegend. Schließlich erreichten die Gerüchte auch Avançon, eine Stadt auf der anderen Seite des Tals. Der dortige Richter François Grimaud, einer der späteren Verfasser der Manuskripte von Laus, interessierte sich für die Ereignisse im Vallon des Fours und beschloss, sich persönlich dorthin zu begeben, um alles zu überprüfen. Als er dort ankam und sich lange mit Benoîte unterhielt, fielen dem Richter sofort die Aufrichtigkeit und die natürliche Freude der jungen Hirtin auf. In der Annahme, dass sie die Wahrheit sagte, ermutigte er Benoîte, oft zu beten und im Zustand der heiligmachenden Gnade zu bleiben, damit sie weiterhin die Gunst der „Schönen Dame“ genießen könne.

Ich bin Maria, Mutter von Jesus

Kurz darauf, Ende August, suchte Benoîte den Pfarrer auf, um ihm zu berichten: „Die Dame bittet uns, mit einer Prozession zum Vallon des Fours zu gehen und dabei die Lauretanische Litanei an die Heilige Jungfrau Maria zu rezitieren, die sie mich gelehrt hat“. Der Pfarrer hatte keine Einwände, und so nahm das ganze Dorf am 29. August an einer Prozession zu dem Ort teil, an dem die „Schöne Dame“ gewöhnlich erschien. Unter den Teilnehmern befand sich auch Richter Grimaud. Benoîte erzählte ihm, dass die „Schöne Dame“ bereits vor der Grotte erschienen war und ihn anlächelte. Nach einem Moment schlug der Richter Benoîte vor, die Frau nach ihrem Namen zu fragen, was sie auch prompt tat. Als Antwort hörte sie die folgenden Worte: „Ich bin Maria, die Mutter von Jesus. Ihr werdet mich an diesem Ort für einige Zeit nicht mehr sehen“.

Für Benoîte war dies eine traurige Veränderung, denn in den letzten vier Monaten hatte sie Maria jeden Tag gesehen. Daraufhin ließ das Mädchen ihre Schafe nicht mehr im Vallon des Fours weiden sondern brachte sie von nun an häufiger zum Flussufer. Einen Monat später, am 29. September, bemerkte die Schäferin plötzlich auf dem Pindreau-Hügel auf der anderen Seite des Flusses ein gleißendes Licht, das sie sofort als erneute Erscheinung der „Schönen Dame“ erkannte. Schnell ging sie zum anderen Ufer hinüber und kletterte den Hang bis zu Marias Füßen hinauf. Die Muttergottes zeigte auf eine nahegelegene Siedlung und bat Benoîte, nach Laus zu gehen, wo sie durch schöne Düfte zu einer kleinen Kapelle geführt werden würde. Dort sollte sie das Mädchen von nun an oft treffen.

Benoîte durchstreifte eilig die kleine Siedlung auf der Suche nach dem Heiligtum, von dem Maria gesprochen hatte. Sie ging von Tür zu Tür und versuchte jedes Mal, einen besonderen Geruch wahrzunehmen. Schließlich entdeckte sie hinter einem Gebüsch ein kleines, verlassenes Gebäude mit einem Strohdach. Wie sich herausstellte, handelte es sich um eine Kapelle, die der Muttergottes der Guten Begegnung geweiht war. Durch die angelehnte Tür roch Benoîte einen himmlischen Duft, der sie umwehte, und trat ein. Nach nur einem Augenblick fiel sie auf die Knie, denn direkt vor ihr stand Maria lächelnd auf dem staubigen Altar, die ihre Arme ausstreckte.

„Es ist sehr schmutzig und ärmlich in dieser Kapelle, meine Dame“, meldete sich Benoîte zu Wort. Vielleicht könnte ich meine Schürze unter Euren Füßen ausbreiten, meine Herrin? „Mach dir keine Sorgen“, antwortete Maria, „bald wird es hier an nichts mehr mangeln, weder an Tischtüchern, noch an Kerzen, noch an Dekorationen. Ich habe diesen Ort für die Bekehrung der Seelen bestimmt. Ich habe meinen Sohn darum gebeten, damit er die Sünder bekehrt, und er hat es mir gewährt“.
Von diesem Tag an bis zum Ende des Jahres kehrte Benoîte jeden Tag in die Kapelle zurück, um mit der Königin des Himmels zu sprechen. Diese Monate erwiesen sich als eine äußerst wichtige Etappe im Leben des Mädchens, denn Maria widmete Benoîte all diese Zeit, um sie zu lehren, wie sie für die Sünder beten kann, ohne zu ermüden. Sie ermöglichte es ihr, den Zustand ihrer Seelen zu verstehen, einschließlich der Angst oder Scham, die sie oft davon abhält, zu Jesus zurückzukehren. Gleichzeitig brachte sie ihr die unermessliche Barmherzigkeit Gottes näher, der jedem Sünder vergeben will. Auf diese Weise bereitete sich Benoîte zusammen mit Maria auf ihre wichtigste Mission vor: für die Sünder zu beten. Und Laus sollte bald zum Ort der „Zuflucht der Sünder“ werden.

Die Gnaden der Muttergottes

Es dauerte nicht lange, bis sich die Nachricht von den Gnaden, die die Gottesmutter der jungen Hirtin schenkte, in den umliegenden Dörfern und Städten verbreitete. Zu Beginn des Frühjahrs 1665 strömten bereits Menschen aus allen Richtung­en zum Heiligtum in Laus. Außergewöhnlich ist die Zahl der Wunder und das Ausmaß der Heilungen, sowohl körperlicher als auch geistiger Art, die sich seither hier ereigneten. Es ist bezeichnend, dass die Heilung des Körpers oft auch mit der Heilung des Herzens einherging, so dass das Sichtbare, das für die Augen Unsichtbare, veranschaulichen konnte. Die pilgernden Gläubigen verspürten ein brennendes Verlangen, zu Gott zurückzukehren und zu beichten.

Der Bitte der Muttergottes entsprechend, wurde in Laus eine Kirche gebaut, die immer mehr Pilger aufnehmen konnte. Mit der Zeit wuchs der Ruf des neu errichteten Heiligtums, das der Muttergottes von Laus geweiht war. Die kleine Kapelle, die Benoîte in der Siedlung Laus entdeckte, wurde vollständig erhalten und in der Mitte der Basilika integriert, die so gestaltet wurde, dass der ursprüngliche Grundriss der Kapelle bis in die heutige Zeit erhalten geblieben ist. Nach Marias Wunsch sollte in der Kirche eine leichte Dämmerung herrschen, um die Pilger zur Umkehr und zur heiligen Beichte zu bewegen. Nach Marias Vorhersage werden viele Heilungen mit dem Öl aus einer in der Kapelle aufbewahrten Lampe durchgeführt. Es hat sich herausgestellt, dass dieses Öl sogar den Kranken, die zu Hause bleiben, helfen kann. Das Bemerkenswerteste an Laus ist der Eifer der Pilger, die zur Beichte und zur heiligen Kommunion an diesen Ort kommen: Einem Priester zufolge nahmen sie an den Sakramenten „mit einer außergewöhnlichen Sensibilität des Herzens und einer noch nie dagewesener Leidenschaft“ teil. Zweifellos war dies auch das Ergebnis von Benoîtes Fürsorge und Gegenstand ihrer ständigen Gebete.

Benoîtes Berufung

Als die Kirche gebaut wurde, beschloss Benoîte, dem Dritten Dominikanerorden beizutreten, was bedeutete, dass sie dem Orden angehörte, aber dennoch als Laie lebte. Als sie als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Gott einen kleinen Schleier auf dem Kopf trug, nannten sie alle Schwester Benoîte. Die Seherin lebte in Laus in ärmlichen Verhältnissen, in einem kleinen Haus in der Nähe der Kirche. Sie ging oft auf die Felder, um dort zu arbeiten, aber den größten Teil ihrer Zeit konzentrierte sie sich auf das Gebet für die Sünder. Deren Bekehrung war ihr Hauptanliegen, weshalb sie als Terziarin viele ihrer Opfer genau zu diesem Zweck darbrachte. Fast jeden Tag stärkte die „Schöne Frau“ sie in dieser wichtigen Aufgabe. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Mission war es, den Gläubigen, die nach Laus kamen, durch die Gabe der Gewissenserforschung zu dienen. Benoîte war in der Lage, ihnen Dinge aus ihrer Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen und sie mit einer solchen Sanftmut und Liebe zur Buße zu ermutigen, dass sie davon sehr bewegt waren. Gleichzeitig wusste sie, wie sie diejenigen entschieden ermahnen konnte, die wissentlich schwere Sünden begingen. Dank ihrer einzigartigen Gabe, die Geheimnisse der Herzen der Menschen zu ergünden, bekehrten sich in dieser Zeit sehr viele Menschen.

Zweifellos gefiel all dies dem Satan nicht, der Benoîte angriff und ihr verschiedene Leiden zufügte. Wie der heilige Jean-Marie Vianney – der Pfarrer von Ars – hörte Benoîte nachts Gelächter und Drohungen, heftiges Klopfen an Türen oder Rütteln an Wänden. Dank Fasten und Gebet ließ sich die Seherin davon nicht verunsichern. Dies verdankte sie auch der Unterstützung durch die Engel, mit denen sie in enger Freundschaft lebte.

Um Benoîte in ihrer schwierigen Mission zu unterstützen, nahm Maria sie am 15. August 1678 mit in den Himmel und zeigte ihr das Paradies. Die folgenden Jahre waren für die Mystikerin eine schwierige Zeit, in der sie Isolation und Verfolgung verschiedener Art erlebte, die sie zweifellos ohne die besondere Hilfe des Himmels nicht hätte ertragen können.
Je mehr der Teufel sie bedrängte, desto mehr standen ihr die Engel zur Seite. So wie in einer Nacht im Jahr 1701, als sich Benoîte, von einem Dämon auf den Gipfel eines Hügels getrieben, in der Dunkelheit verirrte, auf die Hilfe eines Engels zählen konnte. Mit einer Fackel in der Hand führte er sie zurück nach Hause.

Eines Tages, als sie auf dem Weg nach Avançon war, hielt Benoîte für einen Moment des Gebets an einem Kreuz am Straßenrand an. Dort erschien ihr Christus selbst während seiner Passion. Von diesem Tag an erlebte Benoîte jeden Freitag, 15 Jahre lang, am eigenen Leib die Leiden der Passion des Herrn. In dieser Zeit wurden die Gnaden, die den Pilgern in Laus zuteil wurden, noch häufiger. Pilgerscharen strömten von immer weiter entfernten Ggenden herbei, und es kam zu Hunderten von Heilungen und Bekehrungen.

Wenige Jahre vor ihrem Tod erlebte Benoîte die Ankunft einer Gruppe von Nonnen in Laus, deren Aufgabe es war, sich ganz der Aufnahme von Pilgern zu widmen. Die Mystikerin starb am 28. Dezember 1718, umgeben von zahlreichen Priestern, die sie um ihren Segen baten. Ein Engel verkündete Benoîte, dass „Laus ein Werk Gottes ist, das weder Menschen noch Dämonen mit all ihrer Bosheit und Wut zerstören können, das bis zum Ende der Welt Bestand haben wird, das sich ständig weiterentwickelt und überall bemerkenswerte Früchte trägt“. Das ist wahr: Im Laufe der Jahre hat das Interesse der Pilger an diesem Ort stetig zugenommen. Papst Leo XIII. erhob die Kirche in den Rang einer Basilica minor. Dies geschah am 40. Jahrestag der feierlichen Krönung der Statue der Muttergottes von Laus, die 1855 stattfand.

Am 4. Mai 2008 fand eine besonders feierliche Zeremonie in Anwesenheit des Apostolischen Nuntius, zahlreicher Kardinäle, Bischöfe und Priester aus der ganzen Welt statt. Der Bischof von Gap und Embrun hat die Erscheinungen in Laus offiziell kirchlich anerkannt.

Heute kommen jedes Jahr etwa 120.000 Pilger nach Laus, um das Haus zu sehen, in dem Schwester Benoîte lebte, um zum Vallon des Fours, zum Pindreau-Hügel oder zum Kreuz von Avançon zu wandern oder um den Engelspass zu besuchen. Sie alle kommen vor allem, um in der Kapelle der Guten Begegnung in der Mitte der Basilika zu beten wo die Gottesmutter, die Zuflucht der Sünder, auf alle ihre Kinder wartet, damit sie, wenn sie aufrichtig danach streben, ihr Leben verändern um die unerschöpflichen Schätze der Liebe Jesu und die Sanftheit seines barmherzigen Herzens zu entdecken.

Magdalena Górska

Quellen: F. Bay, La Belle Dame du Laus, Paris 2008; F. Zvardon, Un refuge des Hautes-Alpes; Notre-Dame du Laus, Strasbourg 2019; B. Gournay, Notre-Dame du Laus; L’Espérance au coeur des Alpes, Paris 2008.