Gott ist größer als Hollywood

Schwester Dolores Hart ist die einzige Ordensfrau auf der Welt, die ein Mitglied der Amerikanischen Filmakademie ist und ein Stimmrecht bei der Vergabe der Oscars hat. Doch dies ist nicht der Grund, weshalb sie so bekannt ist.

„Die Freundin von Elvis“

Im Jahr 1957 fand die Weltpremiere des Films Loving you statt, der die Geschichte der Musikkarriere eines talentierten Kuriers erzählt, der von Elvis Presley gespielt wurde. In dieser Filmproduktion trat neben dem legendären Sänger und erfahrenen Schauspieler auch die 18-jährige Dolores Hart auf, Schülerin einer katholischen Schule. Die debütierende Schauspielerin, der bei dem Film eine Kussszene mit dem Kultmusiker zufiel, musste sich von da an mit dem Spitznamen „Elvis´ Freundin“ sowie mit der Eifersucht seiner weiblichen Fans abfinden, aber auch mit der aufdringlichen Frage: Wie fühlt es sich an, Presley zu küssen? Viele Jahrzehnte später, schon als Ordensschwester mit 35-jähriger Erfahrung hinter Klostermauern, verschließt die Schwester, mit der ihr eigenen Ironie, auf diese meistgestellte Frage folgendermaßen den Journalisten den Mund: „Normalerweise dauert ein Szenenkuss 15 Sekunden, dieser dauert schon vierzig Jahre.“ Obwohl Dolores Hart ihrem gelungenen Debüt an der Seite des Frauenidols ihren Ruhm als Schauspielerin verdankt, könnte auch ihr eigenes Leben als Vorlage für einen aufregenden Film dienen.

Eine Kindheit in zwei Häusern

Dolores Hart kam am 20. Oktober 1938 auf die Welt. Als sie geboren wurde, war ihre Mutter Harriett 16 Jahre alt und ihr Vater Bert 17. Die jungen Eltern waren mit einer Abtreibung, die man ihnen wegen ihres jugendlichen Alters vorschlug, nicht einverstanden. Sie beschlossen, sofort zu heiraten. Doch die Ehe war weder glücklich noch hielt sie lange. Harriett und Bert waren unreif, egoistisch und tranken zudem beide Alkohol. Außerdem betrog Bert seine Ehefrau und schlug sie. Nach einigen Jahren trennten sich die Eheleute. Beide hatten später noch andere Beziehungen, doch auch diese waren nicht glücklich. Bis zu ihrem Lebensende beherrschten der Alkohol, finanzielle Schwierigkeiten, emotionale Erpressung der Tochter, Aggression und Depression ihr Leben. Sie hatten auch beide ein tragisches Ende – der Vater beging im Alter von 46 Jahren Selbstmord, die Mutter im Alter von 45 Jahren.

Trotz ihrer schwierigen Kindheit schritt Dolores tapfer durchs Leben. Sie wurde in Chicago von ihren Großeltern erzogen, die ihr beibrachten, grundlegende häusliche Pflichten zu erfüllen, und sie in eine katholische Schule schickten. Die Wahl der Schule erfolgte nicht etwa aus religiösen Gründen, sondern aus praktischen. Es war die nächstgelegene Schule. Dank dieser Lösung lernte die Schülerin jedoch den katholischen Glauben besser kennen. Im Alter von zehn Jahren bat Dolores – zum Erstaunen ihrer Familie – um die Taufe. Zu dieser Entscheidung trug eine frühere Krankheit bei (Verdacht auf Kinderlähmung), während der das Mädchen das Gebet als ein persönliches Gespräch mit Gott erfuhr. Die Sakramente der Buße, der Eucharistie und der Firmung stärkten ihren Glauben. Zur Taufpatronin erkor sich die Elfjährige die hl. Therese vom Kinde Jesu, mit der sie ihr ganzes Leben lang eine starke geistige Verbindung fühlte.

Die Rückkehr nach Kalifornien, wo Dolores wieder bei ihrer Mutter wohnte, konnte die Entwicklung ihres Glaubens nicht aufhalten. Der Teenager setzte seine Schulbildung in einem katholischen Gymnasium fort. Dolores ging täglich zum Gottesdienst, dachte aber nicht an eine geistliche Berufung. Ihr größter Wunsch war es, eine berühmte Schauspielerin zu werden. Diese Leidenschaft lag bei ihr in der Familie – ihr Großvater war Kameramann, und ihr Vater ein angehender Schauspieler. Dank ihnen lernte Dolores das Filmset und das Leben hinter der Kamera kennen. In ihrer Freizeit liebte sie es, die Filmpresse zu lesen und die Neuigkeiten aus Hollywood zu verfolgen. Sie ahnte nicht, dass sie sich selbst schon bald auf den ersten Seiten der Zeitungsblätter wiederfinden würde.

Die große Welt

Ein unerwarteter Telefonanruf mit dem Vorschlag, an einem Casting zu einem Film mit Elvis Presley teilzunehmen, öffnete Dolores die Tür zur Schauspielkarriere. Ein gelungenes Filmdebüt, mit dem das erste große Geld kam, positive Kritiken (der Titel der „vielversprechendsten Schauspielerin des Jahres“), Kontakte zu Leuten aus der Filmbranche sowie das Interesse der Medien bewirkten, dass das Mädchen weitere Rollenangebote bekam. In den Jahren 1957 bis 1963 spielte Dolores in vielen Filmen an der Seite solch berühmter Schauspieler wie Marlon Brando, Anthony Quinn oder Montgomery Clift mit. Sie feilte in einer Schauspielschule und bei berühmten Lehrern an ihrer Schauspielkunst. Sie fing auch an, am Broadway aufzutreten. Nach einem Jahr auf den Brettern von New York hatte Dolores u.a. 364 Auftritte in dem Stück The Pleasure of His Company, eine Nominierung zu den prestigeträchtigen Tony Awards sowie den Titel des „neuen Broadway-Stars“. 

Die Ostküste der USA erwies sich auch aus einem anderen Grund als entscheidend für die weiteren Lebensschritte von Dolores. Während eines einjährigen Aufenthalts in diesem Teil des Landes lernte das Mädchen den Ort kennen, der für viele Jahrzehnte ihres Lebens zu ihrem Zuhause werden sollte. In Regina Laudis – einem Klausurorden der Benediktinerinnen unweit von New York – tauchte Hart zum ersten Mal am 12. November 1958 auf. Sie kam, weil sie ein paar Tage frei hatte und geistige Erholung suchte. Der Ort machte einen einschneidenden Eindruck auf sie, und sie suchte ihn später noch oft auf. Die junge Schauspielerin fand dort Frieden im Gebet, in der Stille, der Kontemplation und der Gemeinschaft der Schwestern. Das heißt aber nicht, dass Dolores im bunten Treiben ihrer Karriere Gott vergessen hatte. Sie ging regelmäßig in die Kirche und unterstrich bei Interviews die Bedeutung des Glaubens für ihr Leben. Wenn Journalisten sie danach fragten, was sie zurzeit lese, erstaunte sie die junge Schauspielerin mit ihren Antworten. Sie las die Schriften des hl. Thomas von Aquin oder des Teilhard de Chardin.

Im Jahr 1959, vor dem Ende ihrer Arbeit am New Yorker Theater und der Rückkehr nach Hollywood, verbrachte Dolores eine ganze Woche in Regina Laudis. Zum Schluss hatte sie ein Gespräch mit der Oberin, der sie ihre Zweifel über ihren weiteren Lebensweg anvertraute. „Ist das nicht vielleicht die Stimme der Berufung?“, fragte sie die Nonne. Als Antwort bekam sie zu hören, ihre Berufung sei die Schauspielerei und nicht das Ordensleben als Benediktinerin. Hart fühlte sich durch diese Antwort erleichtert. Hollywood war für sie am wichtigsten. – Zu jener Zeit …

Erkennen der Berufung

In den folgenden Jahren hatten zwei Ereignisse besondere Bedeutung für die spätere Entscheidung von Dolores, in einen kontemplativen
 Orden einzutreten.

Das erste Ereignis fand in ihrer Garderobe statt, während Dolores den Film The Plunderers drehte. Die Schauspielerin kämmte ihre Haare vor dem Spiegel, als sie eine innere Stimme vernahm: „Du weiß, dass das nicht das ist, was du wirklich tun willst.“ Zunächst nahm Dolores diese Stimme auf die leichte Schulter und war weiterhin davon überzeugt, dass die Schauspielerei genau das war, was sie am meisten liebte. Doch diese Stimme kehrte die nächsten zwei Jahre über regelmäßig wieder, wie ein Tropfen, der den Stein höhlt. 

Das zweite Ereignis fand in Italien statt, während der Drehzeit eines Films über den hl. Franziskus. Dolores nahm an einer Audienz mit Papst Johannes XXIII. teil. Als man sie dem Heiligen Vater als den Hollywoodstar vorstellte, der die Rolle der hl. Klara spielte, begrüßte sie der Papst mit folgenden Worten: „Klara“. Die Schauspielerin dachte, der Papst hätte etwas missverstanden, und nannte ihren Namen. Johannes XXIII. wiederholte jedoch noch zweimal: „Nein, nein. Du bist Klara!“

Diese prophetischen Worte führten dazu, dass die religiöse Dimension der Rolle von Dolores an Tiefe und Bedeutung gewann, und dass aus Papst Johannes XXIII. der geistliche Vater der Schauspielerin wurde.

Abschied von Hollywood

Außer den Schwestern aus Regina Laudis, zu denen die junge Schauspielerin in freien Augenblicken immer wieder zurückkehrte, ahnten nicht viele Personen etwas über die beginnende klösterliche Berufung bei Dolores. Von außen wies nichts darauf hin, dass sie in Kürze solch eine brillante Schauspielkarriere beenden sollte. Dolores spielte in Filmen, wurde mit Preisen ausgezeichnet, bekam sehr gute Kritiken, wurde Mitglied der Amerikanischen Filmakademie, gab zahlreiche Interviews, hatte ihren eigenen Agenten und einen Fanklub. Ihre Fotos mit Autogrammen rissen sich die Menschen aus den Händen. Während eines Aufenthalts in Paris konnte sie mit dem Schauspieler Gary Cooper einkaufen gehen und an einem Tag alles verdiente Geld für modische Kleidung ausgeben. Sie reiste viel, tauschte ihre Wohnungen gegen immer bessere aus, hatte viele Freunde und,– last but not least – sie bereitete sich auf ihre Hochzeit mit dem gutaussehenden Architekten Don Robinson vor.

Zur Hochzeit kam es letzten Endes doch nicht, obwohl das Hochzeitskleid schon unter der Aufsicht von Edith Head (der achtfachen Oscarpreisträgerin für Kostüme) genäht wurde und für die Hochzeitsreise eine Jacht von dem Filmproduzenten Hal Wallis gebucht worden war. Ein paar Monate vor der Hochzeit erkannte Dolores nämlich die Stimme ihrer Berufung und folgte ihr nach. Innerhalb von nur einem halben Jahr regelte sie alle ihre Angelegenheiten und trat am 13. Juni 1963 in den kontemplativen Orden der Benediktinerinnen in Regina Laudis ein. Sie ließ ihren Verlobten, Hollywood und ihre Familie hinter sich. Und obwohl nicht viele Menschen daran glaubten, dass ein Filmstar es länger als ein paar Wochen in einem Kloster aushält, so ist Schwester Dolores dort bereits seit fast 60 Jahren!

Schwierige Anfänge

Als Dolores das Leben einer Nonne wählte, wusste sie, dass ab da die Regeln des hl. Benedikt ihr Leben bestimmen würden: ora et labora (bete und arbeite). Die Zeit als Postulantin und Novizin erwies sich jedoch als sehr schwer für sie. Sie verrichtete sehr schwere körperliche Arbeiten im Garten und in der Wäscherei, hatte einen anstrengenden Tagesablauf (die ersten Gebete begannen um 1.30 Uhr), im Kloster herrschten spartanische Verhältnisse (Kälte, ein gemeinsames Badezimmer für zehn Personen und natürlich kein Spiegel in der Zelle). Es fehlten ihr auch die Gespräche mit den Schwestern (nur 45 Minuten am Tag während der Erholungszeit), und sie litt wegen ihrer mangelnden Lateinkenntnisse. Denn auf Latein wurden alle acht Teile des Breviers während des Tages gesungen. Die größte Qual bereitete ihr jedoch das Gefühl der Abwesenheit Gottes, so verschieden von dem Frieden und dem Gefühl der Erfüllung, das sie während ihrer früheren Besuche im Orden verspürt hatte. Nun fühlte sich Schwester Dolores vom Schöpfer verlassen. In den ersten zwei Ordensjahren vermisste sie die Nähe Gottes und weinte jede Nacht in ihrer Zelle. Sie überlegte, ob sie nicht einen Fehler begangen hatte, indem sie diesen Lebensweg eingeschlagen hatte. Paradoxerweise erreichten in jener Zeit über zweitausend Briefe von jungen Leuten ihren Fanklub in Hollywood, für die ihre Entscheidung für ein Leben mit Gott eine außergewöhnliche Stärkung ihres Glaubens war.

Weder die Einkleidung und noch die ersten Ordensgelübde ein Jahr später, am 29. Juni 1966, (während dieser musste die Polizei vor Ort sein, weil so viele Journalisten und Fans den ehemaligen Hollywoodstar sehen wollten) änderten die Empfindungen von Schwester Dolores. Sie bewirkten jedoch, dass sie den Sinn der „Nacht des Glaubens“ begriff. Die junge Nonne verstand, dass trotz der anscheinenden Abwesenheit Gottes Er ihr sehr nahe war und sich um sie sorgte. Die Formation im Orden, die Zeit der Reflexion und Integration dienten zur Entwicklung ihrer Berufung. Schwester Dolores begriff, dass sie in verschiedenen Schwierigkeiten dazu berufen worden war, Jesus in seinem Leiden nachzufolgen, und dass es sein Wille war, dass sie im Orden war und ihr Kreuz trug. In ihrem Tagebuch schrieb Dolores: „Christus lieben bedeutet, dass man mit der Mühe einverstanden ist, Ihn zu suchen. Man kann Ihn finden, wenn man mit Ihm die Einsamkeit im Ölgarten teilt. Einsamkeit ist das größte Leid, aber wenn sie im Glauben an Gott getragen wird, dann wird sie zu einem Weg zu Gott.“

Der Frieden Gottes

Die Krankheiten und Leiden, die mit der Zeit Schwester Dolores Leib befielen, versuchte sie im Geist des Glaubens zu ertragen. Das traf auch auf die Neuropathie zu, die es ihr in großem Maße unmöglich machte, normal zu funktionieren. Wegen der Schmerzen konnte sie sich nicht bewegen und schrieb: „Wenn wir leiden, dann ist die einzige Antwort das Einswerden mit dem Sohn Gottes, der den Schmerz durch die Liebe verwandelt hat. So wird dein Schmerz zum Gebet.“ Schwester Dolores betonte die Bedeutung der täglichen Eucharistie, das liturgische Stundengebet und die schwesterliche Liebe.

In den folgenden Jahren ihres klösterlichen Lebens nahm sie demütig immer neue Ordenspflichten auf sich: die Arbeit in der Küche, in der Werkstatt für religiöses Handwerk sowie in der Tischlerei (wo sie u.a. 25 Jahre lang Särge herstellte). Sie teilte ihre Erfahrungen mit jungen Schwestern oder Gästen, die die Abtei besuchten und die in verschiedene Ordensprojekte engagiert waren (Theater, Agrikultur). Durch ihr tägliches Gebetsleben vermittelte Schwester Dolores anderen Menschen Gottes Frieden und Freude. Sie sagte immer, dass wir schon hier auf Erden Architekten des ewigen Lebens seien.

Derzeit ist Schwester Dolores Hart 83 Jahre alt und die Oberin von Regina Laudis. Ihre Lebensgeschichte fasziniert Menschen auf der ganzen Welt. Im Jahr 2021 entstand ein Dokumentarfilm über ihr Leben (God Is the Bigger Elvis), der für den Oskar nominiert wurde. Während der Zeremonie legte die ehemalige Schauspielerin Zeugnis über Gott ab, der die Liebe ist. Sie tat es nicht nur durch Worte, sondern auch durch ihre Anwesenheit in der Ordenstracht der Benediktinerinnen. Sie scherzte sogar, sie sei zum dritten Mal auf dem roten Teppich, aber zum ersten Mal hatte sie nicht darüber nachdenken müssen, was sie anziehen sollte. Als Gottes Botschafterin in Hollywood wiederholte sie die Worte des hl. Benedikt: „Was kann es denn Schöneres für uns geben, teuerste Brüder, als die Stimme unseres Herrn, der uns einlädt? In seiner Barmherzigkeit zeigt der Herr uns den Weg des Lebens.“ 

Quelle: Mother Dolores Hart (OSB), Richard DeNeut, The Ear of the Heart: An Actress’ Journey From Hollywood to Holy Vows, San Francisco 2013