„In Vereinigung mit deinen Leiden, Jesu“ – hl. Rafqa

„Die Heil bringende Kraft des Leidens erklärend sagt der Apostel Paulus: »Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich in meinem irdischen Leben, was an den Leiden Christi noch fehlt«“ (hl. Johannes Paul II., Salvifici doloris, 1).

Die hl. Rafqa bestätigte diese Worte, indem sie „eine leidenschaftliche und großherzige Liebe für die Erlösung ihrer Brüder zeigte. Sie schöpfte dabei aus der Vereinigung mit Christus“ (hl. Johannes Paul II.)

Eine schwierige Kindheit

Rafqa kam am 29. Juni 1832 in Hemlaya im Libanon zur Welt. Als sie sieben Jahre alt war, starb ihre Mutter. Der Vater des Mädchens heiratete erneut, und nach sieben Jahren wollte die Stiefmutter ihre 14-jährige Stieftochter mit ihrem Bruder verheiraten. Die Tante Rafqas wiederum wollte sie mit ihrem Sohn verkuppeln. Zwischen den beiden Frauen kam es zu einem offenen Konflikt. Eines Tages wurde Rafqa Zeugin ihrer Auseinandersetzungen. „Ich setzte mich hin, weinte niedergeschlagen und bat Gott, Er möge mich aus dieser misslichen Lage befreien“, bekannte Rafqa, „Plötzlich kam mir der Gedanke, in den Maronitischen Orden der seligen Jungfrau Maria einzutreten. Ich ging also in das Kloster der Muttergottes von der Erlösung in Bikfaiya.“ Rafqa ging dort in Gesellschaft zweier anderer Mädchen hin. Während des Gebets in der Kirche hörte sie ganz deutlich eine innere Stimme, die ihr sagte, sie werde eine Ordensfrau werden. „Als die Oberin kam“, erzählte Rafqa, „bat ich sie, uns in ihr Kloster aufzunehmen. Sie wandte sich an mich und sagte: »Sei willkommen«. Sie fasste mich an der Hand und führte mich in das Kloster, ohne nach etwas zu fragen. (…) Diese Gnade habe ich der Allerheiligsten Mutter zu verdanken.“

Das Noviziat

Eines Tages informierte die Novizenmeisterin Rafqa über die Ankunft ihrer Eltern. Sie wollten ihre Tochter wieder nach Hause mitnehmen. Die junge Nonne entgegnete, indem sie sich an die Meisterin wandte: „Ich möchte lieber, dass Sie mich nehmen.“ Sie bat die Oberin flehentlich, sie von dem Treffen mit ihren Eltern zu befreien, und diese gab schließlich nach. Die Eltern gingen traurig weg und sahen Rafqa nie wieder.

Nach dem Noviziat wurde die junge Nonne dem Kloster in Ghazir zugewiesen, wo sie in der Küche arbeitete. In ihrer freien Zeit lernte sie arabische Literatur, Kalligrafie und Mathematik. Danach kam sie in das Kloster Deir El Qamar. Dort wurde Rafqa Zeugin schrecklicher Verbrechen, die von muslimischen und drusischen Milizen an den Maroniten verübt wurden. Hunderte von Flüchtlingen suchten Zuflucht in Klöstern. „Eines Tages, als ich durch das Städtchen ging“, erzählte Rafqa, „sah ich einige Soldaten, die einen kleinen Jungen jagten, den sie umbringen wollten. Als der Junge mich erblickte, kam er auf mich zu, um Schutz bei mir zu suchen. Ich hatte Mitleid mit ihm und verbarg ihn in meiner Ordenstracht. So rettete ich ihn vor der wilden Horde.“

Schwester Rafqa wird Lehrerin

In Jbeil lehrte Schwester Rafqa ein Jahr in einer Mädchenschule. Später wurde sie auf die Bitte eines Wohltäters der Vereinigung, Antonius Isa, nach Maad verlegt. Sie arbeitete dort sieben Jahre lang als Lehrerin in einer Schule.

In Maad erfuhr Schwester Rafqa, dass ihre klösterliche Vereinigung aufgelöst worden war und man den Schwestern erlaubte, in den weltlichen Stand zurückzukehren. Die Ursache für diese Geschehnisse waren Verfolgungen, die dazu geführt hatten, dass die Schwestern ihren Unterhalt nicht mehr bestreiten konnten. „Ich ging in die Kirche des hl. Georg“, erzählte Rafqa, „und fing an zu beten. Ich weinte, seufzte und bat Gott, Er möge mir den Weg zeigen. Als ich ein Meer von Tränen geweint hatte, wurde ich schläfrig. Ich verbarg meinen Kopf in den Händen und schlief ein. Plötzlich fühlte ich, wie eine unsichtbare Hand mich an der Schulter berührte, und ich hörte eine Stimme, die sprach: »Du bleibst Nonne!«“ Rafqa hatte eine Vision über drei Männer: Sie sah einen Mönch mit einem weißen Bart (es war der hl. Antonius der Große), einen Soldaten in Uniform (hl. Georg) sowie einen alten Mann. „Der Mönch näherte sich mir, versetzte mir einen Schlag mit seiner Krücke und sagte: »Trete in den Orden der Libanesischen Maroniten ein!« Ich erwachte voller Freude aus diesem Traum.“

Nach dieser Vision entschied sich Rafqa, sofort in das Kloster des hl. Simon von El Quarn zu gehen. Antonius Isa verabschiedete sich traurig von ihr und stattete sie für ihren neuen Lebensweg aus. Er schrieb ihr auch ein Empfehlungsschreiben an den Oberen des Klosters der Libanesischen Maroniten. Der alte Mann aus Rafqas Vision war in Wirklichkeit der hl. Simon, der Patron des Klosters in El Quarn.

Augenschmerzen

Eines Tages, es war der Festtag Marias der Rosenkranzkönigin, wollten die Schwestern einen Spaziergang in der Nähe des Klosters machen. Ich entschied mich jedoch zu bleiben“, erzählte Schwester Rafqa. „Bevor sie gingen, kam jede von ihnen zu mir und bat: »Bete für mich, Schwester«. Ich ging also in die Kirche und fing an zu beten. Ich erfreute mich damals bester Gesundheit. Ich bat den Herrn: »Mein Gott! Warum hast du dich von mir entfernt? Warum gehen Krankheiten an mir vorüber? Hast du deine Dienerin vergessen?« In der Nacht bekam ich starke Kopfschmerzen, und diese Schmerzen weiteten sich auf die Augen aus.“

Als die Priorin von den gesundheitlichen Problemen von Schwester Rafqa erfuhr, schickte sie sie nach Tripolis, damit sie dort behandelt wurde. Danach nach Seraal und Batroun. Die Behandlungen blieben jedoch erfolglos – Schwester Rafqa kehrte, immer noch leidend, ins Kloster zurück. Ein Arzt aus Batroun sagte nach einer Untersuchung: „Der Schmerz, den diese Nonne ertragen muss, ist unbeschreiblich. Der Sehnerv verursacht diesen Schmerz, und es ist nicht heilbar.“

Schließlich wurde Schwester Rafqa nach Beirut geschickt. Saleh Dumit, der Bruder von Mutter Ursula, der Priorin, begleitete sie auf diesem Weg. Unterwegs trafen sie in Jbeil Vater Stefan Matta. Als Vater Stefan über die Probleme von Schwester Rafqa erfuhr, riet er zu einer Konsultation bei einem amerikanischen Arzt. Der Mediziner untersuchte Schwester Rafqa und stellte fest, dass man das rechte Auge operieren müsse. „Im Auge befinden sich dünne Scheiben wie in einer Zwiebel. Wenn man die kranke Schicht abtragen würde, wäre die Schwester wieder gesund“, versicherte der Arzt. Schwester Rafqa wollte jedoch zunächst die Priorin um ihr Einverständnis bitten. Sie schrieb also einen Brief in dieser Angelegenheit. Doch schließlich gab sie den Überredungskünsten des Arztes nach, ohne die Antwort abzuwarten.

„Von den Worten dieses Arztes irregeführt (…), gab ich mein Einverständnis zu dieser Operation“, berichtete Vater Stefan. „Bevor er anfing, bat ich ihn, er möge die Schwester betäuben, doch die Schwester lehnte es ab. Der Arzt setzte sie auf einen Stuhl und holte ein langes Skalpell hervor, dünn wie ein Haken, das er auf ihr Auge richtete und dann zu sich zog … und da fiel das Auge ganz heraus und rollte auf die Erde! Schwester Rafqa sagte nur: »Ich vereine meine Leiden mit Christi Leiden. Danke. Möge Gott es dir vergelten.« Gleich danach begann Blut aus der Wunde zu fließen. Nur Gott weiß, wie viel sie gelitten hat. Dabei blieb sie ganz ungerührt, ohne auch nur einen Laut von sich zu geben.“

Erst in Beirut gelang es den Ärzten, die Blutung zu stillen und den Schmerz zu lindern, aber die Krankheit befiel nun das andere Auge. Man erklärte, es könne nicht behandelt werden, deshalb kehrte die leidende Schwester Rafqa in ihr Kloster zurück. Kurz danach erblindete sie vollständig.

Eine neue Stiftung

Im Jahr 1897 zog ein Teil der Schwestern, darunter auch Schwester Rafqa, aus dem Kloster des hl. Simon in das neuerbaute Kloster des hl. Josef in Jrabta. Schwester Rafqa blieb in diesem Kloster bis zu ihrem Tod im Jahr 1914. Die meiste Zeit verbrachte sie mit Gebet, Meditation und Danksagung an Gott, für dessen Liebe sie ihre Schmerzen geduldig und hoffnungsvoll ertrug. Oft sagte sie: „Ich bin eine große Last für das Kloster. Meine Schwestern, ich kann euch eure Mühe und euren Dienst für mich nicht vergelten. Möge Gott das Kloster wachsen lassen. Ich habe um Leid gebeten und darf mich nicht beschweren. Ich vereine es mit den Leiden Christi zur Ehre Gottes. Jesus hat mehr gelitten als ich. Ich vereine meine Leiden mit der Dornenkrone, die sich auf Deinem Kopf befindet, mein Herr Jesus Christus.“ Schwester Rafqa erinnerte die Schwestern, nicht die sechste Wunde zu vergessen, „die Schulterwunde Jesu, auf der Er das schwere Kreuz der ganzen Menschheit trug“, und betete täglich sechsmal das Vater unser und das Gegrüßet seist du Maria, um die sechs Wunden Christi zu ehren.

Himmlische Nahrung

In einem der folgenden Jahre, am Morgen des Festtags Fronleichnam, drückte Schwester Rafqa ihren tiefen Wunsch danach aus, an der Eucharistiefeier teilzunehmen, an der sie oft wegen ihrer Krankheit nicht teilnehmen konnte. Die Priorin stellte nur eine einzige Bedingung. Rafqa sollte sich hinsetzen, damit die Schwestern sie in die Kirche tragen konnten. Die Nonnen versuchten die Schwester hinzusetzen, aber ohne Erfolg …

Als der Priester die Liturgie begann, sahen plötzlich alle, wie Schwester Rafqa mühselig über den Boden kroch, um in die Kirche zu kommen. Als die Schwestern das sahen, begannen sie vor Rührung zu weinen. Rafqa hingegen war glücklich, dass sie den eucharistischen Jesus an diesem besonderen Feiertag empfangen konnte.

Ein anderes Mal kam die Schwester, die für die Besorgungen zuständig war, zur Priorin und sagte: „Schwester Rafqa hat heute weder das Frühstück noch das Mittagessen gegessen, und es ist bereits Nachmittag.“ Die Priorin begab sich zu Schwester Rafqa, um den Grund dieses Fastens zu erfahren: „Bist du vielleicht krank, da du das Essen verweigerst?“ Rafqa antwortete: „Nein, es geht mir gut (…). Heute, als der Priester mir die Hostie in den Mund legte, hörte ich eine Stimme, die zu mir in der Seele sprach: »Koste und sieh, wie gut der Herr ist.« Da empfing ich die Hostie und verspürte einen Geschmack und einen wunderschönen Geruch, den man nicht beschreiben kann, sowie eine unermessliche Freude. Ich spürte auch eine ungewöhnliche Kraft, die es mir erlaubte, das Bett zu verlassen. Ich wollte, ich hätte Flügel, mit denen ich mich in die Höhe erheben könnte. Weil ich Angst hatte, diesen süßen Geschmack und wunderbaren Geruch zu verlieren, enthielt ich mich der Nahrungsaufnahme.“

Schwester Rafqas letzter Wunsch

Was möchtest du aus dieser Welt?“, fragte eines Tages die Oberin. Schwester Rafqa antwortete: „Ich würde so gerne mein Augenlicht wiedererlangen, sei es auch nur für eine Stunde, um Sie, Mutter, zu sehen.“ Plötzlich sah die Priorin während des Gesprächs, dass Schwester Rafqa strahlte. „Ich kann sehen!“, sagte die Nonne. Um dies zu überprüfen, fragte die Mutter Oberin sie: „Was befindet sich also auf dem Regal?“ Schwester Rafqa sagte: „Die Heilige Schrift und ein Buch über Segnungen.“ Tatsächlich befanden sich beide Bücher dort. Da fing die Priorin an, auf verschiedene Muster auf einer Decke zu zeigen und fragte Schwester Rafqa nach jeder Farbe. Dies geschah in Anwesenheit mehrerer Schwestern.

Nach diesem Ereignis fiel Schwester Rafqa in einen tiefen Schlaf. Die Priorin wollte sie aufwecken und rief sie beim Namen. Schließlich wachte Schwester Rafqa auf, und Mutter Ursula fragte: „Was war mit dir los? Kannst du noch immer sehen?“ Die Nonne antwortete: „Nein.“ „Wo warst du in diesem Zustand der Bewusstlosigkeit?“, fragte die Priorin. „Ich ging in Begleitung irgendwelcher Leute und kam an ein großes, schönes, mit Blumen geschmücktes Haus. Aus seinem Dach strahlte Licht (…). Die Menschen drängten sich am Eingang des Hauses, und ich war unter denen, die hineingingen. Mutter, wenn Sie nur wüssten, wie glücklich und erfreut ich war wegen dieser außergewöhnlichen Erscheinung.“ Die Priorin fragte sie: „Warum bist du dann zurückgekehrt und nicht weitergegangen?“ Rafqa antwortete: „Sie haben mich gerufen, und ich bin zurückgekehrt.“ Die Schwestern waren der festen Überzeugung, dass das eine Vision des Himmels gewesen war.

Die Geburt für den Himmel

Schwester Rafqa starb am 23. März 1914. Nach zwei Tagen hielt man das Begräbnis ab, an dem die Brüder aus dem Kloster in Maad, dem Kloster in Kfifan, und die Bewohner der Gegend teilnahmen.

Ein paar Tage nach dem Begräbnis von Schwester Rafqa kam Saleh Dumit, der Bruder von Schwester Ursula, ins Kloster. Als der Mann sich schlafen legen wollte, sah er draußen ein helles Licht. Er fing also an, bei diesem Licht die Zeitung zu lesen, ohne auf die Quelle dieses Lichtes zu achten. Nach einem Augenblick verstand er, dass dieses Licht nicht natürlichen Ursprungs war. Er stand sofort vom Bett auf, um die Ursache dieser Erscheinung zu finden, doch er konnte nichts ausmachen. Dann verschwand das Licht. Da verstand Saleh, dass die Quelle des Lichts das Grab von Schwester Rafqa war.

Die Einwohner der dem Kloster gegenüberliegenden Ortschaft Sghar sahen ebenfalls ein strahlendes Licht über dem Grab von Schwester Rafqa. Einer der Einwohner berichtete, dass das Licht so hell war, dass er ganz deutlich die Blätter an der Eiche erkennen konnte, die gegenüber dem Grab wuchs.

Die Kraft des Leidens

Schwester Rafqa lebte in der Liebe zum Eucharistischen Jesus und der Allerheiligsten Mutter. Ihr ganzes Leben hindurch teilte sie den Schatz des Leidens mit anderen und tröstete ihre Mitmenschen. In ihren außergewöhnlichen und schmerzhaften Erfahrungen bewahrte sie sich die Freude des Geistes, die Klarheit des Verstandes, und sogar ihren Humor. Nach ihrem Tod wurde ihr Leib zu einem sichtbaren Zeichen der künftigen Auferstehung. Jeder, der ihren Leib gesehen hatte, war verzaubert von ihrem strahlenden Gesicht, das aussah, als ob sie schliefe und nicht tot wäre. Kurz nach dem Tod von Schwester Rafqa kam es zu einer wunderbaren Heilung von Halswucherungen bei Mutter Ursula. Elisabeth Nachle El Bathali wurde von Gebärmutterkrebs geheilt, und die kleine Celine von einem fortgeschrittenen Tumor. All das geschah auf die Fürsprache von Schwester Rafqa. Ähnlich wie das Öl des hl. Scharbel dient die Erde vom Grab der Schwester Rafqa bis heute als Arznei bei vielen Krankheiten des Geistes und des Körpers. Es lohnt sich also, auch heutzutage diese Heilige darum zu bitten, sie möge die Gabe der Tapferkeit und Heilung für alle Leidenden erflehen und sich besonders für die Völker des Nahen Ostens einsetzen. „Möge die hl. Rafqa über all jene wachen, die vom Leid gekennzeichnet sind (…). Bitten wir den Herrn auf ihre Fürsprache, Er möge die Herzen für die geduldige Suche nach neuen Wegen des Friedens öffnen und auf diese Weise das Kommen der Versöhnung und Eintracht beschleunigen“ (hl. Johannes Paul II., Homilie während der Heiligsprechung von Schwester Rafqa).

Quelle: A. Szybli OLM, Siostra Rafqa Er-Rajjes libańska mniszka (dt. Schwester Rafqa Er-Rajjes – eine libanesische Nonne), Jrabta-El-Batrun 2014