Betet täglich den Rosenkranz!

Die katholische Kirche hat bisher nur ungefähr ein Dutzend Marienerscheinungen auf der ganzen Welt anerkannt. Die einzige, offiziell anerkannte Marienerscheinung in Polen fand in Gietrzwald (dt. Dietrichswalde), einem kleinen Dorf in der Nähe von Olsztyn (dt. Allenstein), statt. Vom 27. Juni bis zum 16. September 1877 erschien die Muttergottes dort mehr als 160 Mal! Obwohl die Echtheit dieser Erscheinungen bestätigt wurde, sind sie bis heutige nur wenig bekannt und ihre Botschaft wird nicht vollständig gewürdigt.

„Betet täglich den Rosenkranz!“

Das 19. Jahrhundert war für das polnische Volk eine besonders schwere Zeit. Polen existierte in dieser Zeit nicht mehr auf den Landkarten Europas und war unter drei Besatzungsmächte aufgeteilt – Russland, Österreich und Preußen. In dem preußischen Besatzungsgebiet, in dem sich Gietrzwald befand, kam es damals zu einer politisch-ideologischen Germanisierung, die man auch als Kulturkampf bezeichnet. Der Reichskanzler Otto von Bismarck führte im Ermland eine verstärkte Germanisierung durch, die darin bestand, alles, was polnisch war, zu zerstören. Der „Eiserne Kanzler“ kämpfte gegen die polnische Sprache, Kultur, Tradition und auch gegen den katholischen Glauben. Und eben in dieser für die Polen so schweren Zeit erschien die Muttergottes. Sie kam zu polnischen Kindern und sprach auf Polnisch mit ihnen. Diese Ehre wurde zwei Mädchen zuteil: der zwölfjährigen Barbara Samulowska und der dreizehnjährigen Justyna Szafranska. Die Seherinnen stammten aus Woryty, einem Nachbardorf von Gietrzwald. Die Einwohner dieser Ortschaft pflegten die polnische Kultur und Tradition. Zahlreiche Wegaltäre, die bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben sind, legen Zeugnis davon ab. Als die Muttergottes auf polnischem Boden erschien, stärkte sie so das gequälte Volk und goss in die Herzen der Polen die Hoffnung ein, dass die ersehnte Freiheit für ihr Vaterland bald kommen würde.

Die Marienerscheinungen

Zur ersten Marienerscheinung kam es am 27. Juni 1877 um 21.°°Uhr. Die kleine Justynka kehrte, gemeinsam mit ihrer Mutter, nach der bestandenen Prüfung, die sie auf die Erste Heilige Kommunion vorbereiten sollte, nach Hause zurück. Sie hielten an der Kirche in Gietrzwald an, denn Justynka erblickte bei einem nahestehenden Ahornbaum eine wunderschöne Frau. Die Frau war ganz in weiß gekleidet und saß auf einem goldenen, mit Perlen geschmückten Thron. Sie strahlte eine ungewöhnliche Helligkeit aus. Nach einem Augenblick entdeckte das Mädchen auch einen Engel in weißem Gewand mit goldenen Flügeln, der sich vor der auf dem Thron sitzenden Frau verbeugte. Wie es der Zufall so wollte, spazierte gerade der Pfarrer der Gemeinde in Gietrzwald, Pfarrer Augustyn Weichsel, an der Kirche vorbei und bemerkte das aufgewühlte Mädchen. Justyna erklärte ihm, was sie sah.

Der Pfarrer bat sie, am nächsten Tag um dieselbe Uhrzeit wieder zu dem Ahornbaum zu kommen. Am 28. Juni wiederholte sich die Erscheinung. Das Mädchen sah die wunderschöne Frau auf dem Thron und zwei Engel, die ihr das Jesuskind brachten. Das Jesuskind hielt in der linken Hand die Erdkugel. Die Engel setzten es auf das linke Knie der Frau. Es erschienen zwei weitere Engel, die eine glänzende Krone über dem Haupt Marias hielten, ein weiterer Engel hielt ein goldenes Zepter über der Krone. Das Mädchen sah noch einen Engel, der auf ein Kreuz wies. Am 30. Juni hatte auch die kleine Basia eine Erscheinung. An jenem Tag fragte Justynka im Auftrag des Pfarrers die schweigende Dame: „Was möchtest Du?“ Als Antwort hörte sie: „Ich wünsche, dass ihr täglich den Rosenkranz betet.“

Das waren die ersten Worte, die die wunderschöne Frau auf polnischem Grund und Boden ausgesprochen hat. Am nächsten Tag fragte Justynka: „Wer bist Du?“ Sie hörte die Antwort: „Ich bin die unbefleckt empfangene Allerheiligste Jungfrau Maria“. Als der Pfarrer den Bericht über diese Erscheinung hörte, hatte er keinen Zweifel mehr daran, dass es die Muttergottes war, die Gietrzwald besuchte. Der Priester war sich nämlich sicher, dass ein dreizehnjähriges Dorfmädchen nichts über das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis wissen konnte (das Dogma war durch Papst Pius IX. erst neunzehn Jahre zuvor verkündet worden). In den folgenden Tagen sagte Maria, dass Kranke an diesem Ort Heilung erfahren würden, wenn sie eifrig den Rosenkranz beteten. Die Muttergottes bat, eine Kapelle am Erscheinungsort zu errichten und versprach, dass viele Menschen an Leib und Seele geheilt würden. Die Bedingung dafür war jedoch das Gebet. Maria versprach auch, dass Polen die Freiheit wiedererlangt.

Vom satan irregeführt

Die Muttergottes warnte auch in Gietrzwald vor dem bösen Geist, indem sie sagte: „Jetzt, vor dem Ende der Welt, umkreist der Satan die Erde wie ein hungriger Hund und sucht Menschen, die er verschlingen kann.“ Maria lehrte, dass man Satan nur durch das Gebet überwinden kann. Der böse Geist offenbarte sich auf sichtbare Weise in Gietrzwald. Es gelang ihm, zwei Seherinnen irrezuleiten: die Witwe Elzbieta Bilitewska und das Fräulein Katarzyna Wieczorek. Ihre Botschaften wurden von der Kirche nicht anerkannt. Diese Frauen hatten ebenfalls die Gnade, Seherinnen zu sein. Sie glaubten jedoch, auserwählt zu sein, und begannen, auch unwahre Inhalte der Erscheinungen zu übermitteln. Satan nutzte ihren Hochmut aus. Durch dieses Einfallstor bekam er Zugang zu ihren Seelen und verursachte Verwirrung und Lüge. Justynka und Basia machten ebenfalls Erfahrungen mit seiner Gerissenheit. Dazu kam es während eines Besuchs bei einer befreundeten Schneiderin. Der Pfarrer hatte ihnen allerdings verboten, dorthin zu gehen. Müde schliefen die Mädchen bei der Schneiderin ein und da tauchte Satan auf. Er zeigt sich ihnen in der Gestalt Mariens und zeigte ihnen die folgende Aufschrift: „Erhellung über euren Sünden, um sie besser zu erkennen.“ Er führte die Mädchen in Versuchung, ähnlich wie Adam und Eva, indem er ihnen riet, dass sie selber darüber entscheiden sollten, was gut und was schlecht ist, weil sie frei waren und am besten wüssten, was sie bräuchten. Diese Erscheinung erlebten Justynka und Basia ganz anders als die anderen Marienerscheinungen. In ihren Herzen war viel Furcht und Unfrieden. Entsetzt erzählten sie alles dem Pfarrer, der davon überzeugt war, dass es der böse Geist war, der den Mädchen erschienen ist. Das bestätigte auch Maria während ihrer abendlichen Erscheinung.

Die Belehrungen Mariens

Maria warnte die Ortseinwohner auch vor der Trunksucht und bat, man möge um die Bekehrung der Alkoholiker beten. In dem Dorf Gietrzwald, dessen Einwohnerschaft 353 Menschen umfasste, gab es damals einige Schenken. In diesen Schenken verloren die Menschen nicht nur ihr Geld, sondern auch ihre Gesundheit und ihre Würde. Die Besatzungsmächte zahlten für alle Dienstleistungen mit Alkohol, weil man süchtige Menschen besser lenken kann. Während ihrer Erscheinungen bat die Muttergottes mehrfach um das Beten des Rosenkranzes. Sie betonte jedoch, dass kein Gebet die Eucharistie ersetzten kann. Die Muttergottes wies auf die Stellung der Eucharistie hin, die große Macht verleiht und die Ihr Sohn eingesetzt hat, damit die Menschen daraus Kraft schöpfen und die Vereinigung mit Gott anstreben. Maria sagte, die Priester hätten eine große Mission, denn sie feierten die heilige Messe im Namen ihres Sohnes. Sie brauchten auch viel Unterstützung im Gebet seitens der Gläubigen. Am 8. September, also am Festtag ihrer Geburt, segnete Maria die fünfzigtausend Pilger, die nach Gietrzwald gekommen waren, und sagte: „Seid nicht traurig, Ich werde immer bei euch sein.“ Die Muttergottes segnete auch eine Quelle in der Nähe, die von da an viele Heilungen bewirkte. Besondere Gnaden erfuhren hier Menschen, die an Augenkrankheiten und Krebs litten. Am 16. September 1877 fand die letzte Marienerscheinung auf polnischem Boden statt. Die Muttergottes beendete sie mit den gleichen Worten, die sie am Anfang ausgesprochen hatte: „Ich wünsche, dass ihr täglich den Rosenkranz betet.“

Die Bedeutung der Erscheinungen

Durch ihre Bitte zeigt Maria, dass das Rosenkranzgebet besonders wirksam ist, denn es ist eine Arznei für alle Krankheiten des Leibes und der Seele. Für manche Menschen ist der Rosenkranz eine Art Amulett, der sie vor Unglück bewahren soll. Die Muttergottes bittet aber, nicht nur den Rosenkranz bei sich zu tragen, sondern ihn auch zu beten. Nur dann entsteht eine enge Beziehung zwischen Gott und Mensch. Maria betont auch den Wert der Eucharistie, die man durch nichts ersetzen kann. Sie gibt Kraft und bewirkt, dass der Mensch nicht allein ist, denn in seinem Herzen ist Christus, der im Sakrament der heiligen Kommunion gegenwärtig ist. Maria erinnert daran, dass das Gebet für die Priester sehr wichtig ist. Sie sind nämlich Gott sehr nah und wollen die Menschen zur Erlösung führen, was sie besonders für die Angriffe des bösen Geistes anfällig macht.

Die Muttergottes bittet in ihren Erscheinungen auch um das Gebet für jene, die verloren gegangen sind und Gott suchen, damit sie die Gnade des Glaubens erlangen. Maria ruft zur Buße und Bekehrung auf. In der heutigen Zeit ist das Bußsakrament in manchen Ländern fast verschwunden, dabei wurde es durch Jesus selbst eingesetzt, der im Beichtstuhl auf jeden Menschen wartet, um ihm alle seine Sünden zu vergeben.

Die Erscheinungen Mariens in Gietrzwald fanden in den Zeiten des Kampfes der Besatzer gegen die polnische Kultur, Sprache und den katholischen Glauben statt. Die Muttergottes pochte auf die Menschenrechte sowie auf das Recht zur eigenen Tradition, die die Existenz eines Volkes garantiert und dessen Identität bewahrt. Das ist eine Ermutigung, insbesondere für die jüngeren Generationen, um mutig ihr Vaterland zu verteidigen und die Werte und die Kultur nicht zu vergessen, in deren Wirkungskreis sie erzogen wurden. Ein freies Land ist ein nüchternes Land – ein Volk, das sich nicht manipulieren lässt. Satan wartet die ganze Zeit darauf, um die Verlorenheit und die Indisposition des Menschen auszunutzen. Er lauert auf irrende Seelen, um sie listig zu manipulieren. Und auch hier gilt: Eine sehr wirksame Waffe gegen die Absichten des Teufels ist der Rosenkranz. Das ist ein Gebet, das heilt und sehr wirksam ist – besonders jetzt in den Zeiten der Pandemie, angesichts derer so viele Menschen Angst und Ratlosigkeit verspüren. 

Am 27. Juni wird es 145 Jahre her sein, seit die Muttergottes in Gietrzwald erschienen ist. Ihre Botschaft ist jedoch nach wie vor aktuell. Buße, Bekehrung, Eucharistie, das Wort Gottes und der Rosenkranz – das sind die besten und sichersten Mittel auf dem Weg zur Erlösung. Einst sagte der hl. Johannes Paul II. zu einer großen Gruppe von polnischen Pilgern, die in den Vatikan gekommen waren: „Fahrt nach Gietrzwald! Dort ruft die Muttergottes zur Heiligkeit auf! Dort ist euer Platz!“ Pilgern wir also nach Gietrzwald. Dort erwartet Maria einen jeden Menschen, um ihn zu ermutigen und ihn an Ihr Unbeflecktes Herz zu drücken, so wie sie es versprochen hat: „Seid nicht traurig, Ich werde immer bei euch sein.“