Die Mystikerin aus Turin – Schwester Consolata Betrone

„Im Schoß der Kirche wirst du das Vertrauen sein“ – dieses Versprechen gab Jesus einer italienischen Kapuzinerin zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das war nicht die einzige Mission, die ihr der Auferstandene anvertraute. Wer war diese Nonne, zu der Gott sprach?

Über Umwege zu den Kapuzinerinnen

„Willst du ganz Mir gehören?“ – das waren die ersten Worte, die Pierina Betrone (die spätere Schwester Consolata) von Jesus hörte. Es war der 8. Dezember 1916. Das Mädchen war damals dreizehn Jahre alt und wohnte zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern im Norden Italiens. Sie ging zur Schule und half in dem Laden ihres Vaters aus. Ihre Zukunft sah man in der Übernahme des familiären Geschäfts. Das war für alle ein so selbstverständliches Szenario für ihr späteres Leben (ähnlich wie eine etwaige Eheschließung), dass sie, als sie verkündete, sich ganz Gott weihen zu wollen, von ihrem Vater zu hören bekam: „Ich würde dich lieber tot sehen, als dass du Nonne wirst!“ Trotz des Widerstands ihrer Eltern verwirklichte Pierina im Alter von 21 Jahren ihre Berufung, indem sie dem Institut der Maria-Hilf-Töchter von Don Bosco beitrat.

Nach dem enthusiastischen Anfang kam für Pierina eine Zeit der Zweifel, der Versuchungen und der geistigen Läuterung, mit der sie nicht zurechtkam. Nach anderthalb Jahren entschied sie letztendlich, den Salesianer-Orden zu verlassen. Es begann eine schwierige, drei Jahre lang währende Suche eines neuen Klosters, bis Pierina auf Anraten einer älteren Schwester an die Pforte des Konvents der Klarissen-Kapuzinerinnen von Turin klopfte und angenommen wurde. „Es zieht mich nichts zu den Kapuzinerinnen – die Entsagung ist vollkommen!“, schrieb Pierina. Und doch wird sie in diesem Klausurorden Frieden finden. Dort verbringt sie den Rest ihres Lebens und dort wird sich ihr auch Jesus offenbaren.

Botschaften vom Himmel

„Meistens ist es so, dass mich eine unsichtbare Macht dazu veranlasst, im Chor den Bleistift in die Hand zu nehmen und zu schreiben. Dann bin ich darüber erstaunt, was ich geschrieben habe und sehe, dass all das das Siegel der Liebe des Herzens Jesu trägt, dieser Liebe, die – durch das Schweigen in mir – seine Gegenwart enthüllt. Jesus liebt dich, Jesus liebt uns, das ist alles“ – berichtete Schwester Consolata in ihren Tagebüchern. Auf die Empfehlung ihres Seelenführers Pater Lorenzo Sales notierte die Nonne in einem Heft ganz sorgfältig ihre inneren Eingebungen und Intuitionen, aber auch die Worte Jesu, die dieser direkt an sie richtete. Eben diese demütige, unauffällige Schwester, die die einfachen Arbeiten einer Köchin, Pförtnerin, Schuhmacherin, Sekretärin und Krankenschwester ausübte, erwählte Jesus, um sich ihr zu offenbaren und um eine Botschaft an die Welt zu richten. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1946 hatte Schwester Consolata mystische Begegnungen mit ihrem Bräutigam (besonders intensiv in den Jahren 1935 bis 1936). Die Kapuzinerin hörte auch Gott Vater, die Mutter Gottes und einige Heilige. In den übermittelten Worten versicherte Gott seine unendliche Liebe für die Sünder, sprach über das Bedürfnis nach Vertrauen und Demut, sowie über die Bedeutung des Leidens. Gott leitete Schwester Consolata auch persönlich und vertraute ihr eine besondere Mission in der Kirche an.

Die geistige Freundschaft mit der Kleinen Therese

„In den ersten Jahren meines Aufenthalts bei den Kapuzinerinnen“, erinnerte sich Schwester Consolata nach Jahren, „war ich der Meinung, dass man die Liebe zu Jesus ausdrückt, indem man viele Dinge tut; aber Jesus sagte mir schon während der heiligen Exerzitien vor der ersten Profess: »Du sorgst dich um zu viele Dinge, dabei brauchst du nur eines: Mich zu lieben!“ Liebe, kindliche Hingabe und Vertrauen sind die Elemente der Geistlichkeit, die Gott Schwester Consolata zeigte. In dieser Geistlichkeit wuchs sie und diese Geistlichkeit propagierte sie, wie sie nur konnte. Das ist kein neuer Weg in der Kirche, aber er basiert auf dem Evangelium und wurde von der hl. Therese vom Kinde Jesu im 19. Jahrhundert wiederentdeckt. Die Kleine Therese inspirierte Schwester Consolata. Sie las Die Geschichte einer Seele der Karmelitin und wünschte von ganzem Herzen, den Kleinen Weg zu gehen, aus der Liebe heraus zu leben und „Jesus so zu lieben, wie Ihn noch nie jemand geliebt hat.“ Später wird dieser Wunsch um zwei andere Dimensionen erweitert: „Leiden, wie noch niemand gelitten hat, und Seelen für Jesus zu retten, wie sie noch niemand zuvor gerettet hat.“

Schwester Consolata antwortete großherzig auf die Bitte Jesu, in seinen Händen „ein fügsames Werkzeug zu sein, wie ein Federhalter, den man benutzt, wann man es will und zu welchem Zweck man will, ohne auf den geringsten Widerstand zu stoßen“. Die Kapuzinerin war sich ihrer Schwäche bewusst sowie der Tatsache, dass sie ohne Gottes Gnade zu Niederlagen neigte. Wie ein Kind empfing sie alles aus Gottes guten Händen: freudige Erfahrungen genauso wie körperliche und geistige Leiden. Sie wuchs in der grenzenlosen Hingabe an Gott.

Ihr Vertrauen gefiel Gott, der im Jahr 1935 bestätigte: „Wenn du bei dem Erklimmen der Bergspitze auf dich selbst vertrauen oder dich auf eines Meiner Geschöpfe stützen würdest, würdest du im Schneckentempo vorankommen; du aber vertraust nur auf Jesus, suchst die Stütze beim Allmächtigen, deshalb werde Ich Wunder wirken und wir werden mit Riesenschritten voranschreiten. Fürchte dich vor nichts: Setze immer dein ganzes Vertrauen auf Jesus, auch dann, wenn Finsternis auf deine Seele stürzt und dich ganz umfasst. Wiederhole dann umso stärker: »Jesus, ich sehe Dich nicht mehr. Jesus, ich fühle Dich nicht mehr, aber ich vertraue Dir, Jesus.« Gehe so in jeder Prüfung vor. Das Vertrauen, das du in Mich setzt, Consolata, ist mächtig. Möge es in den Tagen der Prüfung heroisch sein. Denke immer daran, dass du im Schoß der Mutter Kirche das Vertrauen sein sollst und immer sein wirst.“

Ein nicht endender Akt der Liebe

Schwester Betrone wollte den Willen Jesu erfüllen und den Regungen ihrer schwachen Natur nicht nachgeben. Schritt für Schritt übergab sie alles Gott – zusätzliche Mahlzeiten (die auch so schon spärlich ausfielen), das Ausdrücken unnötiger Gedanken oder Worte. Von ihrem göttlichen Bräutigam wurde sie zu einem „nicht endenden Akt der Liebe“ eingeladen, der darauf beruhte, zu allem, was Jesus forderte, heroisch „Ja“ zu sagen: zum Verharren in einer nicht endenden Liebe des Herzens zu Gott; zu einem „Ja“ allen gegenüber durch ein Lächeln, in ihnen allen Jesus erkennend und sie wie Jesus behandelnd; und ein „Ja“ zu allem (auch zu den Forderungen Gottes) in Dankbarkeit. Diese  Handlungsweise steht mit dem bekanntesten Satz aus Consolatas Schriften im Zusammenhang: „Jesus, Maria, ich liebe Euch, rettet Seelen!“ Und so erklären das die Klarissinen-Kapuzinerinnen aus Polen, die Förderinnen des Erbes der Schwester Consolata: „Es handelt sich dabei nicht um ein einfaches Stoßgebet, das man flüstern sollte. Es ist vor allem ein innerer geistiger Weg der Liebe, der zur engen Kommunion mit Gott führt, eine Antwort auf die Sehnsucht Jesu: »Ich möchte, dass sich eine Welle der Liebe von der Erde zum Himmel erhebt.«“

Indem Schwester Betrone diesen Akt immer aufs Neue wiederholte, drückte sie ihre Liebe zu Gott und Maria aus, sowie ihren brennenden Wunsch nach der Erlösung der Menschen. Denn obwohl sie in einem Klausurorden lebte und außer den Mitschwestern keinerlei Kontakte mit Menschen von außen hatte, so reichte doch ihr apostolischer Eifer weit über die Klostermauern, über Turin und Italien hinaus. Durch ihre Korrespondenz, ihr Gebet und die Aufopferung ihrer Leiden, verkündete sie allen die Botschaft von Gottes Barmherzigkeit und seinen Wunsch nach dem ewigen Leben für jeden Menschen. Das betraf vor allem die Mitglieder ihrer Familie sowie die „Kleinen“ – das waren ihr anvertraute Seelen, die die geistige Kindschaft Gottes leben wollten. „Consolata“, bat Jesus, „verkünde den kleinen Seelen und allen meine unaussprechlichen Gnaden; sage der Welt, wie gut und mütterlich Ich bin, und dass Ich von Meinen Geschöpfen im Gegenzug nur Liebe erwarte.“

Brüder und Schwestern

Im Jahr 1934 beauftragte Jesus Schwester Consolata mit der besonderen Sorge um die Erlösung ihrer „Brüder und Schwestern“, also der Priester und konsekrierten Personen, die der Priesterweihe untreu wurden und die Gelübde der Reinheit, der Armut und des Gehorsams gebrochen hatten. Der Erlöser teilte mit der Kapuzinerin den Schmerz, den ihm Priesterseelen zufügen, die in schwerer Sünde leben (besonders in der Sünde der Unreinheit, dem Hochmut, der Habgier, der Fresssucht und jene, die sich von ihren Ambitionen irreführen lassen) und dabei die Eucharistie feiern: „Consolata, weißt du, welche Qualen Mein Herz in jeder Stunde des Tages erleidet (…), wenn irgendeine Stimme Mich vom Himmel auf die Erde ruft und Mich in unreine Hände und in sakrilegische Herzen legt? Verstehst du diese ganze Qual? Ich, die unendliche Reinheit, bin gezwungen, in unreine Hände und Herzen hinabzusteigen. Ach! Consolata, verstehst du diese Meine ganze Qual?“

Und trotzdem entzieht Jesus diesen Menschen seine Barmherzigkeit nicht und wartet auf sie. Jesus übermittelte Schwester Consolata die folgenden Worte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, dass die Stunde heranrückt und schon da ist, in der deine armen und unglücklichen Schwestern und Brüder die Stimme der Barmherzigkeit des Gottessohnes hören werden und wer sie erhört, wird leben. (…) Weil ich Mich von der Liebe leiten lasse, so vergebe ich allen. Schreibe, dass sich Mein Herz dem Akt der Liebe seines armen Geschöpfes nicht widersetzen kann. Aufgrund eines einzigen liebevollen Herzschlags bin ich bereit, die ganze Vergangenheit schrecklicher Blasphemien zu vergessen. Nein, Ich stoße keinen deiner Brüder und Schwestern weg, die auf dem Weg der Liebe zu Mir zurückkehren. Niemanden! Schreibe dies!“

Schwester Consolata, die damit einverstanden war, sich selbst als Opfer für die Bekehrung ihrer Brüder und Schwestern darzubringen, trug auch alle geistigen Konsequenzen dieser Entscheidung. Weil diese Menschen meistens in Unreinheit lebten (oft befanden sie sich in zivilen Ehen), erfuhr die Kapuzinerin starke Versuchungen gegen die Reinheit. Das war für sie besonders schwer zu ertragen, weil ihr ein böser Mensch diese Reinheit rauben wollte, als sie noch ein Kind war. Satan versuchte mehrfach, Schwester Betrone ihren Frieden zu rauben, indem er diese Wunde aus der Kindheit hervorholte. Er versuchte sie davon zu überzeugen, dass sie aus diesem Grund nicht würdig sei, im Kloster zu leben. Die Schwester hielt sich jedoch an die Worte Jesu, die sie ermutigten: „Denke daran, dass jede Unanständigkeit, die du nicht willst, nicht eine Schuld ist, sondern eine Gelegenheit zum Widerstand. Kämpfe in Frieden und Selbstbeherrschung und der Feind wird Spott ernten. Beherrschung, Frieden und Gleichgültigkeit; eine innere Vereinigung mit Jesus durch den Akt der Liebe. Habe Mut!“ Wenn Versuchungen auf sie zukamen, flüchtete die Nonne auch zur Muttergottes: „Ein Gegrüßet seist du Maria – und alles wird ruhig“, schrieb sie.

Die drei Gipfel

Im Jahr 1939 wurde Consolata, aufgrund der wachsenden Gemeinschaft in Turin, angewiesen, sich in die neue Gründung der Kapuzinerinnen in Moriondo zu begeben. Dort steckte sie sich von einer Schwester, die sie pflegte, mit Tuberkulose an. Der Körper von Schwester Consolata, der durch die Askese und die spärlichen Mahlzeiten ausgezehrt war, konnte sich der Krankheit nicht widersetzen. Auch ein mehrere Monate dauernder Aufenthalt in einem Sanatorium half nicht. Die Kapuzinerin trug ihr Leid standhaft bis zum Ende. Sie erinnerte sich an die Worte, die Jesus ihr gesagt hatte: „Denke daran und sei dir dessen gewiss, dass Ich dir in jeder Prüfung auch die Kraft gebe, sie zu ertragen, also fürchte nichts. Ich liebe dich und denke immer an dich und du kümmere dich nur darum, auch Mir Liebe zu erweisen. Tag für Tag, immer wenn Ich zu dir komme, werde ich Meine Liebe, Meine Treue und Meine Macht mit dir teilen. Das wird ausreichen, um dein tägliches Leiden zu ertragen. Nein, fürchte nichts: Du weißt, wie sehr Ich dich liebe.“

Schwester Consolata litt heldenhaft, weil sie Gott unendlich liebte, und opferte ihr Leben für die Erlösung der Seelen auf. Im Jahr 1942 drückte sie einen großen Wunsch aus: „In meinen eifrigsten Gebeten bitte ich jetzt darum, Jesus so zu lieben, wie Ihn noch niemand geliebt hat, noch jemals lieben wird, um für Ihn Seelen zu erlösen, wie noch nie jemand für Ihn Seelen erlöst hat, noch jemals erlösen wird. Ich wiederhole Ihm das bis zur Ermüdung bei jeder Kreuzwegstation. Meine einzige Hoffnung, dies zu erreichen, ist das beharrliche Gebet. Ich weiß, dass ich einzig Elend, Unbeständigkeit und Gemeinheit bin, aber ich weiß auch, dass Er allmächtig ist. Deshalb entstand zwischen dieser Kleinen und dem guten Gott eine Brücke des Vertrauens. Und trotz meiner extremen Gemeinheit glaube ich, dass Jesus mir das gibt, was ich brauche.“ Jesus antwortete auf die Bitte von Schwester Consolata und versprach ihr, dass sie drei begehrte Gipfel erreichen werde: „Liebe, Leid und Geistigkeit“.

Die Kapuzinerin gab bis zum Ende nicht auf und opferte alles für die Erlösung der Seelen. In ihrem Tagebuch schrieb sie: „Heute Morgen habe ich verstanden, dass die Heiligen im Himmel sind, weil sie gekämpft haben. Deshalb beschließe ich, tapfer an jenen Tagen zu kämpfen, die mir noch verblieben sind, um keinen Akt der Liebe zu verpassen, was mir ermöglicht, Jesus in allem anzunehmen und alles im Schweigen zu ertragen. Satan stört mich bei der Weiterführung des Werkes der Liebe mit allen erdenklichen Mitteln. O Jesus, hilf mir zu kämpfen, mich selbst und alles zu überwinden und unerschrocken vorwärts zu schreiten, bis zu dem Abend, an dem ich sterben werde.“

Schwester Consolata Betrone starb am 18. Juli 1946. Im Jahr 2019 erkannte Papst Franziskus ihre heroischen Tugenden an und verlieh ihr den Titel ehrwürdige Dienerin Gottes. Für ihre Seligsprechung fehlt nur ein Wunder, das auf ihre Fürsprache zurückzuführen ist. Viele Menschen ernten die Früchte des Gebets der Mystikerin, gemäß dem Versprechen Jesu: „Meine Consolata, vertraue Mir! Dann, nach deinem Tod, werde Ich dir erlauben, viel Gutes auf Erden zu tun. (…). Du wirst Consolata (die Trösterin) von allen sein und Consolata für alle sein, für das Kind und den Greis, für den Unschuldigen und den Sünder, für die weiße Lilie und für die beschmutzte Lilie: Du wirst Consolata für alle sein.“

Quelle: L. Sales, Trzy płomienie złączone w jeden (dt. Drei Flammen zu einer vereint), Poznań 2021; s. M. K. Betrone, Zapiski w chórze, Dzienniki (dt. Notizen im Chor, Tagebücher), Kraków 2021.