Eine Botschafterin für das Leben

Man kann die Folgen einer Abtreibung nicht verdecken, irgendwo tief vergraben und so tun, als seien sie für die Mutter und das Krankenhauspersonal bedeutungslos. Es ist ein Joch fürs ganze Leben.

Seit ich denken kann, habe ich davon geträumt, Ärztin zu werden. In der Abiturklasse entschied ich mich jedoch, Hebamme zu werden. Ich wollte Kindern helfen, auf die Welt zu kommen und die Mütter bei der Geburt zu begleiten. Ich glaubte, durch die Wahl dieses Weges zu einer Botschafterin für das Leben zu werden …

Die brutale Realität

Mein erster Zusammenstoß mit der brutalen Realität erfolgte im zweiten Ausbildungsjahr während der Praktika in der gynäkologischen Abteilung in Kattowitz im Jahr 1984. Damals war Abtreibung in Polen praktisch ohne Einschränkungen zugelassen. Man rief uns junge Mädchen, um uns eine Abtreibung zu zeigen. Wir wussten eigentlich nicht wirklich, was da vor sich ging … Ich habe diesen Tag immer noch vor Augen, obwohl schon fast 40 Jahre seit damals vergangen sind. Das abgetriebene Kind kam lebendig auf die Welt. Es war die 26. bis 28. Schwangerschaftswoche. Der Tag war sonnig, die Fenster gingen auf die Südseite hinaus. Man legte das Kleine in ein Gefäß in der Sonne. Und es weinte nur, ganz sich selbst und dem sicheren Tod überlassen …
Ich war erschüttert. Das, was an diesem Tag passiert war, überbot alles, was ich bisher gesehen hatte … Ich spürte, dass ich etwas tun musste. Ich wusste, dass der Junge in Einsamkeit stirbt, ohne seine Mutter, und dass er sicher ganz viel Angst hat. Ich ging zu ihm hin, steckte ihn in die Tasche meines Kittels, ging auf die Toilette und taufte ihn dort auf den Namen „Josef“. Das war das Einzige, was ich damals für ihn tun konnte …

Die Arbeit

Nach der Ausbildung begann ich, in einem Krankenhaus in einer Kreisstadt mit vierzigtausend Einwohnern zu arbeiten. Ich ging dort frisch nach der Schule hin, mit dem Gefühl, eine Mission zu haben. Leider wurde ich an diesem Ort schnell enttäuscht.
Ich arbeitete im Kreißsaal, auf der Geburtsstation und in der Gynäkologie. In der Abteilung für Gynäkologie, wo ich meine Arbeit begann, waren Abtreibungen die häufigsten Eingriffe, im Schnitt sieben bis acht davon täglich … Niemand, auch nicht die Hebammen aus der Notaufnahme, durfte den Patientinnen die Abtreibung ausreden und sie davon zu überzeugen versuchen, das Kind doch noch zu behalten. Das war ein Befehl von oben. In jener Zeit – den frühen Achtzigern des 20. Jahrhunderts – durften wir das, was in der Abteilung geschah, überhaupt nicht kommentieren. Es reichte aus, dass eine Frau sagte, dass sie das Kind nicht wollte, weil sie keinen Lebensunterhalt hätte oder die Mittel nicht ausreichten – und sie konnte es ganz legal töten …
Nicht alle Hebammen hielten sich an das Schweigegebot. Sie hatten viele Unannehmlichkeiten deswegen. Es waren hauptsächlich die älteren Schwestern. Sie hatten weniger Angst, ließen sich nicht einschüchtern, obwohl sie ausgelacht, schikaniert und zum Oberarzt zitiert wurden. Uns, den jungen Hebammen, brachten Gespräche mit den Vorgesetzten gar nichts. Es nützte nichts, dass wir sagten, dass das Assistieren bei Schwangerschaftsabbrüchen sich nicht mit unserem Gewissen vereinbaren ließ. Wir wurden innerlich gebrochen. Damals gab es keine Gewissensklausel. Man konnte lediglich „Nein“ sagen und musste sich dann eine neue Arbeit suchen …

Das Gewissen

Ich hatte mit dem Ganzen natürlich ein großes Problem. Einerseits war ich im Kreißsaal Zeuge, wie neues Leben auf die Welt kam, und kümmerte mich auf der Geburtsstation um die Gebärenden, andererseits erlebte ich auf der Gynäkologie die Hölle. Ich sprach mit dem Krankenhausseelsorger und überlegte, den Beruf zu wechseln. Doch die Vorsehung sorgte dafür, dass ich nun mehr im Kreißsaal und auf der Geburtsstation arbeitete als in der Gynäkologie. Während meiner Arbeit auf der Gynäkologie stellte sich heraus, dass ich nicht mehr bei Abtreibungen assistieren musste – es gab andere „Freiwillige“. Das alles führte auch zu Spannungen beim Personal.

Abtreibungsopfer

Es ist nicht wahr, dass nur die Kinder und die Frauen Opfer von Abtreibungen sind. Dieses Stigma zeichnet zusätzlich noch vier weitere Personen: den Anästhesisten, die Anästhesieschwester, die Hebamme und natürlich den Abtreibungsarzt selbst. Vielfach zieht man gar nicht in Betracht, welche Last diese Personen später mit sich herumtragen.
In den 80er-Jahren und früher waren die Frauen davon überzeugt, dass der Embryo kein Kind und eine Abtreibung „lediglich“ eine Verhütungsmethode wäre. Die Wahrheit sieht jedoch so aus, dass man die Folgen der Abtreibung nicht verdecken, irgendwo tief vergraben und so tun kann, als seien sie für die Mutter und das Krankenhauspersonal bedeutungslos. Es ist ein Joch fürs ganze Leben. Es ist eine Belastung für die Mutter, weil sie immer noch die Mutter des Kindes ist, das sie getötet hat.
Es ist auch eine Belastung für das Personal, das in Wirklichkeit bei einem Mord assistiert. Auch ich muss damit leben. Das, was ich durchgemacht habe, ist in meinem Innern, auch das, was ich gesehen habe, beispielsweise die sog. Winterzange, die dazu dient, das Kind im Mutterschoß zu zerstückeln. Nach einer Abtreibung musste ich oft alle Körperteile des Kindes einsammeln und zu einem Ganzen zusammenfügen. Ich musste in den Hygieneeinlagen und der Operationswäsche nach dem Kopf, dem Bein, den Eingeweiden suchen … Man durfte auch der Mutter nicht vorschlagen, dass sie ihr Kind nimmt und es beerdigt. Ich vermute, dass wenn sie es tun würde, sie keine weitere Abtreibung vornehmen könnte.
Ich erinnere mich an keine Frau, die vor der Abtreibung die gynäkologische Abteilung verlassen hätte. Oft wurden diese Patientinnen von ihren „liebenden Männern“ dorthin gebracht, die sie dann nach einigen Monaten zu einem weiteren Eingriff brachten. Es gab aber auch Frauen, die sogar zehnmal kamen, manchmal sogar vormittags an Heiligabend und erklärten, sie wollten „ruhige“ Feiertage haben …

Eine wahre Hölle für Frauen

Wenn jemand versucht, den Frauen einzureden, Abtreibung sei notwendig wegen ihrer Freiheit, wegen des Komforts und des Wohlstandes, so ist er in Wahrheit ein Abgesandter der Hölle. Diese Frauen opfern das Muttersein und ihre eigenen Kinder unter anderem für ihre Karriere. Dann beeinflussen diese Verbrechen ihr psychisches und geistiges Leben. Patientinnen, die ich nach Jahren wiedergetroffen habe, sagten mir, wie schwer es für sie ist, mit dieser Last zu leben. Sie haben einen sehr hohen Preis für die Abtreibung gezahlt. Ihr Leben war gar nicht so glücklich, wie es sein sollte, als sie sich zu diesem Schritt entschieden.
Nach 1993, als die Abtreibung auf drei Indikationen beschränkt wurde, in denen es in Polen legal war abzutreiben, sank die Zahl der Abtreibungen, doch oft nur offiziell. Häufig kam es vor, dass eine Patientin mit einer Überweisung vom Arzt kam und behauptete, dass sie dabei sei, ihr Kind zu verlieren, oder dass der Arzt diagnostiziert hätte, das Kind sei tot, obwohl es gar nicht so war. Auf diese Weise umging man das Abtreibungsverbot auf vielen gynäkologischen Abteilungen.

Man muss jedes Leben schützen

In dieser schweren Zeit begleitete mich ein heute nicht mehr lebender Krankenhausseelsorger. Dieser Priester half mir sehr durch die Beichte und viele Gespräche. Manchmal verbot man den Priestern, die gynäkologische Abteilung zu betreten. Das Personal und die Patientinnen sagten, dort würde das Böse wohnen. Ich erinnere mich, dass dieser Priester trotz dieses Verbots täglich um 5.30 Uhr früh mit dem Herrn Jesus in diese Abteilung kam, damit die Patientinnen die hl. Kommunion empfangen konnten.
Heute ist mir bewusst, dass Jesus, mein Gott, mir vergeben hat. Damals jedoch hatte ich keine Kraft, mich diesem unmenschlichen System entgegenzustellen … Letztendlich gab ich den Beruf der Hebamme auf, obwohl ich immer noch im Gesundheitswesen arbeite.

Ich hege die Hoffnung, dass, wenn jemand diese Worte liest, er darüber nachdenkt und vielleicht seine Einstellung überdenkt, falls er bis dahin geglaubt hat, Abtreibung sei keine große Sache, weil der Embryo (also in Wirklichkeit das Kind!) angeblich vor dem „Eingriff“ betäubt wird! Was ändert dies an der Tatsache, dass wir ein unschuldiges menschliches Wesen töten? Deshalb sollten wir wirklich alles tun, um diese Seuche zu beenden, in deren Folge allein im Jahr 2020 über 42 Millionen Menschen auf der Welt umgekommen sind. In meiner Stadt mit vierzigtausend Einwohnern kamen auf diese Weise seit 1956 an die fünfunddreißigtausend Menschen ums Leben. Das ist ein Holocaust! Das muss ein Ende haben, damit niemand mehr mit dem Segen des Gesetzes Kinder töten darf!

Bożena