Briefe mit Seele

„Ich habe keine Wünsche, außer den Willen Gottes zu tun und die Nächsten nicht zu verletzen“, – vertraute sich Alicja Lenczewska ihrer Freundin, Schwester Teresa Łozowska, in einem ihrer Briefe an. Der erhaltene Briefwechsel ist eine unschätzbare Quelle, um die Spiritualität der polnischen Mystikerin zu entdecken.

Alicja Lenczewska, geboren im Jahr 1934, verbrachte die meiste Zeit ihres Lebens in Pommern (Polen). Nach Abschluss ihres Pädagogikstudiums in Danzig und der Teilnahme an einer Reihe von Kursen war ihr Weg, als Lehrerin und später als stellvertretende Direktorin eines Gymnasiums in Stettin, vorgezeichnet. In dieser Zeit interessierte sie sich nicht für den Glauben. Stattdessen zog es sie in die Welt, die sie auf zahlreichen Auslandsreisen erkundete. Obwohl sie keine Familie gründete, war sie mit ihrem Bruder Sławomir eng verbunden. Mit ihm begann Alicja nach dem Tod ihrer Mutter an den Treffen der Erneuerung im Heiligen Geist teilzunehmen. Das Kennenlernen der Gemeinschaft führte zur Bekehrung von Alicja. Für die Entwicklung ihrer Beziehung zu Gott waren die Exerzitien für geistliche Leiter in Gostyń im Jahr 1985 ausschlaggebend, als nach der Heiligen Kommunion „etwas geschah“, so erinnerte sie sich später, „das mein Leben völlig veränderte. Da stand Jesus vor mir. Er war realer, wahrer als alles andere in der Kapelle: als die Menschen neben mir standen. […] Alles hörte auf zu existieren, es gab nur noch Ihn. Seine Kraft, seine Macht, seine Unermesslichkeit, die immer größer wurde, und ich wurde immer kleiner neben Ihm. Eine unermessliche Liebe, die so groß und unvergleichlich ist, dass man über die eigene Undankbarkeit nur weinen kann. Und dann die Freude, dass Er mich liebt. Eine Freude, die das Herz zerreißt.“ In den folgenden 25 Jahren erlebte Lenczewska in unterschiedlicher Intensität mystische Gespräche mit Jesus .

Die von Alicja niedergeschriebenen Worte des Erlösers wurden nach ihrem Tod in zwei Bänden veröffentlicht: „Świadectwo“ (dt. das Zeugnis) und „Słowo pouczenia“ (dt. das Wort der Belehrung) und erfreuen sich bei den Lesern großer Beliebtheit, was zeigt, wie sehr die Menschen das lebendige Wort Gottes benötgen.

Gebet und Tat

Auch Schwester Teresa Łozowska, von der Gemeinschaft der Franziskanerinnen von der Familie Mariens, nahm 1985 ebenfalls an den denkwürdigen Exerzitien in Gostyń teil. Es war ihre zweite Begegnung mit Alicja Lenczewska, die sie im selben Jahr im Zug von Posen nach Stettin kennengelernt hatte. Die beiden Frauen verstanden sich gut, und folgende Evangelisationsreisen vertieften ihre geistliche Verbindung. Sie begannen sich zu schreiben, und wenn sich die Möglichkeit bot, besuchten sie einander. So entstand eine Freundschaft, die bis zu Lenczewskas Tod im Jahr 2012 andauerte.

Als die Briefe zwischen Stettin und Warschau zu kursieren begannen, war Alicja 55 Jahre alt und seit zwei Jahren im Ruhestand. Ohne berufliche Verpflichtungen hatte die Mystikerin Zeit, sich in das kirchliche Leben einzubringen: Sie arbeitete zweimal wöchentlich als Freiwillige im Pfarrbüro, organisierte Wallfahrten nach Italien, ins Heilige Land und nach Medjugorje, leitete eine Gebetsgruppe und war Mitglied der Gemeinschaften der Familie vom Herzen der gekreuzigten Liebe und des Apostolats der Reinen Liebe. Ihr aktives Leben hat sie mit dem Gebet und der Vertiefung ihrer Beziehung zu Gott verwoben. Auf diesen Weg wurde sie am Anfang durch Jesus selbst geführt. Auf ihre Frage: „Soll ich ein Mensch der Werke oder ein Mensch des Gebets sein?“, antwortete Er: „Trenne die beiden nicht. Du brauchst beides. Ein Gebet, das auf einer Abneigung gegen das Handeln und die Arbeit beruht, ist nichts wert. Ebenso sind Arbeit und Handeln ohne Gebet, ohne sich auf Mich zu stützen, fruchtlos. Es ist eine vergebliche Mühe, die manchmal Böses statt Gutes bringt“ (Zeugnis, 59).

Die Verbindung des Gebets mit der praktischen Tätigkeit bedeutete, dass Alicja die meiste Zeit im Gespräch mit Gott, bei der täglichen Eucharistie, bei der Anbetung und mit der Hilfeleistung für andere verbrachte. Die Erfahrung, dem Herrn Jesus nahe zu sein und mehr und mehr über seine Geheimnisse zu erfahren, führte im Leben von Lenczewska auch zu einer Liebe zur Armut. Sie entledigte sich des Fernsehers und vieler anderer Gegenstände in der Wohnung, die sie nach ihrer Bekehrung für überflüssig hielt. Auch an „weltlichen“ Reisen war sie nicht mehr interessiert. Alles war weniger wert als der lebendige Christus und sein Wille. Sie erwog, in einen Orden einzutreten, aber Jesus wies sie an, dies nicht zu tun, sondern das Leben der Braut Christi als eine in der Welt lebende Person zu führen. Er sagte zu ihr: „Bleibe in ständiger Kontemplation des Vaters wie eine Karmelitin und sei im Elend der Welt wie eine Missionarin der Liebe. Das war der Weg meiner Mutter und das ist deine Berufung zur täglichen Selbstaufopferung“ (Zeugnis, 735). Lenczewska teilte ihre Erfahrung mit Schwester Teresa: „In meinem täglichen Leben lebe ich das Leben eines Einsiedlers in der Entäußerung von allem, was die Welt gibt, nicht über das für die physische Existenz notwendige Minimum hinaus. […] Und in der Tat, außer dem Dienst und dem Opfer, verbindet mich nichts mit irgendjemandem. Das ist schön: eine solche totale Armut, in der man nur sein ganzes Herz vor Gott ausschütten kann, der verborgen und scheinbar abwesend ist und sich doch so sehr um mein Elend und meine Einsamkeit kümmert. So hat mir der Herr in letzter Zeit die Schönheit der Armut gezeigt: die Schönheit von allem, was arm ist, gedemütigt von der Welt, hilflos und verletzlich in seiner Demut und Einfachheit. Wie sehr ist Er in all dem gegenwärtig, und welch großer Reichtum und welche Heiligkeit liegt gerade darin. Jesus kam in Armut auf die Welt, lebte in Armut und unter den Armen und starb in extremer Armut und Entblößung“ (15. Mai 1995).

Alicjas zunehmende Hinwendung zu Gott ging Hand in Hand mit dem Verzicht auf ein gesellschaftliches Leben oder leerer Unterhaltungen und dem emotionalen Ausleben ihres Glaubens. In einem Brief an Schwester Teresa schrieb sie: „Ich danke Dir für die Einladung zu den Exerzitien der Erneuerung, aber ich kann nicht mehr aktiv in die Erneuerung zurückkehren. Es wäre eine Abkehr von dem, wozu der Herr mich jetzt geführt hat, d.h. zur Entblößung von den großen Gefühlen des Gebetes und der Tätigkeit unter den Menschen. Mein Dasein im Herrn ist jetzt ruhig, still, als ob ich lausche und die feinsten Regungen seines Herzens spüre, das von so vielen gekreuzigt wurde“ (16. Juni 1996).

Das Sühneopfer

Jesus hat in seinen Offenbarungen, insbesondere in denen, die im Wort der Belehrung niedergeschrieben sind, auf die Notwendigkeit des geistigen Kampfes und des Widerstandes gegen das Böse hingewiesen. Er sagte zu Lenczewska: „Es ist notwendig, dass du hier, wo du bist, Mein Strahl der Liebe und des Friedens bist, noch stärker und radikaler im Dienst für das Reich, zu dem du berufen bist. Die Zeit drängt, denn die Invasion des Bösen drängt, weil die Bedrohung der Seelen immer größer wird. Und dein aufopfernder Dienst und der deiner Brüder und Schwestern wird immer mehr gebraucht. Ein Dienst des Friedens und der Liebe“ (Wort der Belehrung, 475). Der Wille des Erlösers führte Alicja dazu, sich Gott im Geiste der Wiedergutmachung für die Sünden der anderen aufzuopfern. Die Mystikerin wusste, wie viele Menschen durch den Liberalismus, den Materialismus, den perversen Hedonismus und die Ausschweifungen, die seit den 1990er Jahren in Polen um sich griffen, verdorben wurden, und vertraute sich Schwester Teresa an:  „Ich sehne mich danach, im Herrn zu bleiben und seiner Liebe und Barmherzigkeit zu dienen, denn ich fühle, und das hat der Herr mir schon oft zu verstehen gegeben, dass Gebete und Opfer dringend nötig sind, weil so viele Seelen vom Geist der Welt und der sich immer weiter ausbreitenden Finsternis verschlungen werden. Das gilt auch für die Seelen der Priester, was der größte Schmerz Jesu ist. Mein Dienst ist schwierig, denn ich bin in der Tat völlig allein und einsam. Das ist wahres Eremitentum: Das Gebet und die Hingabe jeden Augenblicks an den Herrn mit allem, was damit einhergeht, sei es von außen kommend oder direkt in die Seele eingehend“ (16. Oktober 1994).

Die Gotteskindschaft

Alicja lebte in einem Geist des Gebets und der Aufopferung, denn dies war der Wille Gottes für sie, und die Mystikerin hielt dessen Erfüllung für das Wichtigste. Sie schrieb: „Ich habe keine anderen Wünsche, als den Willen Gottes zu tun und die Nächsten nicht zu verletzen“ (2. April 2000). Schon einige Jahre zuvor hatte sie bekannt: „Der Herr hat mir zu verstehen gegeben, dass Er will, dass ich ständig auf seinen Willen höre und ihn erkenne, ihn annehme und den Wunsch habe, mich von meinen eigenen Wünschen und Plänen, von jeder Anhänglichkeit, sogar von meinen eigenen Motiven und Vorlieben völlig zu lösen, um mich immer mehr zu entschuldigen, zu vergeben, barmherzig zu sein und für andere und mich zu bitten. Um zu lieben und zu leiden wie Er – Jesus, mein Herr und mein Bräutigam“ (16. Juni 1996). Die Konzentration auf den Willen Gottes (und nicht die Erzwingung eigener Pläne) ist der wesentlichste Charakterzug der Geistlichkeit der Gotteskindschaft. Jesus hat Alicja wiederholt zu dieser Form des inneren Lebens eingeladen und sie als den kürzesten Weg zur Heiligkeit und als den besten für die heutige Zeit bezeichnet (vgl. Wort der Belehrung, 66). Eine solche Haltung beinhaltet den Verzicht auf den Geist der Selbständigkeit, während man sich gleichzeitig auf Gott verlässt, in der Überzeugung, dass Er am besten weiß, was für den Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt am fruchtbarsten ist. Das Wichtigste auf dem Weg der Gotteskindschaft ist daher „absolute Treue, Vertrauen, Liebe und Selbstaufopferung (Zeugnis, 348).

Und so erklärte Alicja Schwester Teresa diese Form der Geistlichkeit: „Der Herr gibt immer zur rechten Zeit das, was notwendig ist, damit sein Kind erlöst wird und seine Berufung hier auf Erden erfüllen kann. Auf seiner Seite gibt es immer Liebe und Barmherzigkeit, und auf unserer Seite muss es Vertrauen geben, das die Quelle des Friedens ist. Warum sich sorgen und ärgern, wenn alles dem Herrn gehört und alles von Ihm abhängt. Man muss einfach von Augenblick zu Augenblick das tun, was einem aufgetragen ist – und nichts weiter“ (9. September 2002). Bei einer anderen Gelegenheit riet sie einer Nonne: „Lebe im gegenwärtigen Augenblick und danke dafür, und nimm nicht vorweg, was als Nächstes geschehen wird, denn der Herr weiß das und Er wird wie immer das Beste tun, das, was im entsprechenden Augenblick nötig ist. Und vergleiche dich nicht mit anderen. Jeder ist so, wie er ist, nach den Maß der empfangenen Gnaden und dem Maß der Liebe, mit der er Jesus geliebt hat“ (23. Februar 2005)

Der Wert des Leidens

Im Laufe der Jahre spürte Lenczewska die Beschränkungen des Alters und reduzierte ihre außerhäuslichen Aktivitäten. Es begann eine Zeit der körperlichen Schwäche, der Schmerzen und schließlich des Krebsleidens. Der Erlöser hatte seine Braut bereits darauf vorbereitet, das Leiden anzunehmen, als Er sagte: „Wenn dir auf deinem Lebensweg ein Kreuz begegnet, ist es notwendig, es mit Liebe und Frieden zu tragen und Mir deine Mühsal und dein Leiden aufzuopfern. Das Kreuz, das Mir auf diese Weise aufgeopfert wird, ist mit Meinem Segen gesalbt, und in ihm ist das große Gut für dich und deine Mitmenschen enthalten. Wenn du es ablehnst, wird das Kreuz nicht an dir vorübergehen, denn es ist in dein Erdenleben eingeschrieben. Dann wird dich ein schwereres Kreuz erdrücken, weil es nicht von Mir gesalbt ist“ (Zeugnis, 183).

Das Kreuz, das Lenczewska trug, war von geistigem, später auch von körperlichem Schmerz geprägt. Die Mystikerin war sich des großen apostolischen Wertes bewusst, den angenommenes Leiden erfüllen kann. Sie schrieb an Schwester Teresa: „Ich glaube, dass das Opfer des Schmerzes und des Verzichts in der Intention für einen anderen nicht weniger wertvoll ist als eine konkrete und unmittelbare Evangelisierung… Ich glaube, dass das Kreuzesopfer des Herrn Jesus unvergleichlich größere Früchte getragen hat und trägt als seine größten Wunder und Lehren. Jede Träne für einen Menschen – in der Einsamkeit und in der Vergessenheit vergossen – ist das wertvollste Geschenk, das man Ihm machen kann, und das ist es doch, was die reine Liebe ausmacht: so viel wie möglich geben zu wollen, ohne etwas dafür zu bekommen. Der Herr lehrt mich das seit vielen Monaten, und ich verstehe es, auch wenn ich eine ungeschickte Schülerin bin“ (10. August 1994).

Alicja betrachtete das Leiden mit den Augen des Glaubens und schloss ihre eigenen Gebrechen in das Kreuzesopfer des Erlösers ein. Jesus führte und stärkte sie in dieser menschlich schwierigen Erfahrung. Er erklärte ihr: „Du nimmst an Meinem Leiden teil – an einem Teil davon, soweit du es annehmen kannst. Schau mit deinen Gedanken nicht über den heutigen Tag hinaus und gib dich nicht deiner Phantasie hin. Die Sorge um das Morgen und die Phantasie sind das Terrain für ein besonders intensives Wirken der Macht des Bösen. Die Gegenwart gehört Mir. Ich gestalte sie nach deinem Vertrauen und deiner Liebe zu Meinem Willen. Sprich mit Mir. Das wird dir Kraft geben. Ich bin dein geistiger Vater, dein Vorgesetzter, Vater und Mutter, Vertrauter und zärtlicher Beschützer“ (Zeugnis, 452).

Der Abschied

Lenczewska ertrug tapfer den Schmerz und bereitete sich auf den Tod vor, den sie als Übergang zum ewigen Leben mit ihrem Bräutigam betrachtete. Von ihrer geistlichen Reife zeugt ihr letzter Brief, den sie wenige Monate vor ihrem Tod an Schwester Teresa schrieb: „Ich bin gerne allein zu Hause in der Stille, nur mit dem Herrn und meinen Gedanken. Das ist meine Freude in dieser Phase meines Lebens. Die Zeit meiner äußeren Aktivität ist vorbei, und ich habe absolut kein Bedürfnis nach irgendwelchen Unternehmungen, Kontakten, Reisen usw. Ich bin nicht daran interessiert, was draußen passiert. Ich sehne mich nach Niemandem oder irgendetwas. Nur nach Jesus und seinem Reich. Die Welt wird immer unheimlicher. Ich freue mich auf die Zeit, in der meine Therapie, die nicht heilt, sondern nur das Fortschreiten der Krankheit verzögert, zu Ende ist und ich in einem von den Pallottinern geführten Hospiz alles hinter mir lassen kann. Dort wird Frieden herrschen und eine Kapelle mit einer heiligen Messe vor Ort. Und wie das alles zustande kommt, ist Sache des Herrn, dem ich mich und alle meine Angelegenheiten vor vielen Jahren übergeben habe, indem ich beim Bischof von Posen, in der Gemeinschaft des Herzens der gekreuzigten Liebe, zunächst zeitliche und dann ewige Gelübde abgelegt habe. Der Herr umgibt mich mit großer Liebe und Fürsorge und sorgt für alles, was ich brauche, auch für die kleinen Dinge des täglichen Lebens. Ja, um die Wahrheit zu sagen, ich freue mich über diese Krebserkrankung, die der letzte Dienst ist, den ich im Geiste der Sühne für meine Sünden und meiner Brüder im Herrn leisten kann. Dafür bin ich Gott sehr dankbar.[…] Schließlich möchte ich mit meinen 78 Jahren, und nach nicht einfachen Lebenserfahrungen seit meiner frühen Kindheit, nur noch Frieden und einen würdigen Abgang aus dieser Welt, die von Satans Lakaien gestaltet wird. Vielleicht wirst du dies als Fahnenflucht werten. Offensichtlich kann ich es mir aber derzeit nicht leisten, mehr zu tun, als mich von Augenblick zu Augenblick passiv dem Willen des Herrn zu unterwerfen – so wie er eben ist. Ich wünsche mir nur, dass ich diesen Willen mit Freude und Dankbarkeit annehmen kann. Amen.“ (21. August 2011).